Die Taliban haben laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters Bankenvertretern in Afghanistan versichert, dass sie ein komplett funktionierendes Finanzsystem wünschen. Der von den Islamisten eingesetzte kommissarische Chef der Zentralbank (DAB), Hadschi Mohammad Idris, habe sich in dieser Woche unter anderem mit Mitgliedern des Branchenverbandes getroffen, berichtet Reuters unter Berufung auf vier mit dem Vorgang vertraute Banker.
»Sie waren sehr charmant und fragten die Banken nach ihren Sorgen«, sagte einer der Insider über die Taliban. Idris war vergangene Woche an die Spitze der DAB gesetzt worden. Er verfügt über keine formelle Finanzausbildung und hat keine Hochschule besucht.
Idris habe versichert, dass die Islamisten nach Lösungen für die Liquiditätsprobleme und steigende Inflation im Lande suchten, hieß es weiter. Über welche Mittel die Zentralbank verfüge, sei nicht bekannt geworden. Zudem sei unklar geblieben, wie die Taliban die Beziehung zu den USA gestalten wollten.
»Rund 80 Prozent der von den Banken getätigten Transaktionen werden in Dollar abgewickelt«, sagte einer der Banker. Daher sei die Beziehung zu den USA von großer Bedeutung. Idris habe zudem erklärt, dass nicht vorgeschrieben werde, ob die Banken Frauen einstellen dürfen. In einigen Banken machen weibliche Mitarbeiter etwa ein Fünftel der Belegschaft aus.
Während der ersten Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 durften Frauen nicht arbeiten. Zudem gab es in dieser Zeit in Afghanistan nur einen kleinen funktionierenden Bankensektor. Zwar behielt eine Handvoll von Geschäftsbanken ihre Lizenzen, jedoch war keine davon funktionsfähig und es wurden kaum Kredite gewährt. Der Zentralbankchef des Landes, Adschmal Ahmati, war aus Kabul geflüchtet. Ihm zufolge sind die Vermögenswerte der DAB außerhalb der Reichweite der Taliban.
Die Islamisten sehen sich nach ihrer faktischen Machtübernahme nun mit einer tiefen Wirtschaftskrise konfrontiert, die sich unter anderem in einer rasch steigenden Inflation und einem Verfall der Landeswährung niederschlägt. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes könnte in diesem Jahr um 9,7 Prozent schrumpfen, teilte die Ratingagentur Fitch mit. Zuvor hatte sie für dieses Jahr ein Wachstum von 0,4 Prozent prognostiziert.
Im kommenden Jahr sei ein weiterer Rückgang um 5,2 Prozent zu erwarten, hieß es weiter. »Die sehr turbulente Art und Weise, in der die US-Sicherheitskräfte das Land verlassen und die Taliban die Macht übernommen haben, bedeutet, dass die wirtschaftlichen Belastungen für das Land kurzfristig akut zu spüren sein werden«, so die Analysten vom Forschungsbereich der Kreditratingagentur.
Ausländische Investitionen wären nötig, um ein optimistischeres Szenario zu zeichnen, so die Fitch-Analysten. »Ein alternatives und positiveres Wirtschaftsszenario würde bedeuten, dass das durchschnittliche Wachstum Afghanistans zwischen 2023 und 2030 bei 2,2 Prozent liegen würde, was voraussetzt, dass einige große Volkswirtschaften – namentlich China und möglicherweise Russland – die Taliban als rechtmäßige Regierung akzeptieren und größere Investitionsprojekte in Angriff nehmen würden.«
Afghanistan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Dabei könnte es eigentlich ein reiches Land sein, denn es verfügt über viele begehrte Bodenschätze wie Lithium, Kupfer, Seltene Erden und Öl.
Drohender Wirtschaftscrash: Taliban kämpfen offenbar um Bankensystem - DER SPIEGEL
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