Als Jeff Bezos einmal danach gefragt wurde, was unternehmerischen Erfolg in einer Zeit großen Wandels ausmacht, antwortete er zur Überraschung seiner Zuhörer so: Wichtig sei nicht nur darüber nachzudenken, was sich verändert, sondern auch darüber, was gleich bleibt. Der Amazon-Gründer nannte drei Dinge: Den Wunsch der Kunden nach möglichst niedrigen Preisen, möglichst großer Auswahl und möglichst schneller Lieferung.
Sein Mantra, sich kategorisch auf den Konsumenten zu fixieren, hat ihn bekanntlich nicht nur berühmt gemacht, sondern zu einem der vermögendsten Menschen der Welt. Bis heute orientiert sich der Onlinehändler an diesen Prinzipien.
Natürlich gründet der Erfolg des Internetkonzerns auf mehr: Darauf, schnell neueste Technik einzusetzen und sie selbst mitzuentwickeln – mehr Roboter in den Versandzentren, Lieferdrohnen und immer ausgefeiltere Empfehlungs-Algorithmen sind Beispiele dafür. Und auch Jeff Bezos akzeptierte, wie gerade im Onlinegeschäft nicht unüblich, zunächst eine Phase, in der er schnelles Wachstum höher gewichtete als Profitabilität, er nahm jahrelang sogar Verluste hin.
Abwarten reicht nicht
Mittlerweile ist Amazon ein Weltkonzern mit mehr als einer Million Angestellten und einem Billionen-Dollar-Börsenwert. Einer, der in den ersten drei Monaten dieses Jahres mehr als 100 Milliarden Dollar Umsatz machte und 8 Milliarden Dollar Gewinn, so viel wie nie zuvor in einem Quartal. Geld verdient das Unternehmen zudem längst nicht mehr nur mit dem Onlinehandel, sondern auch mit der immer wichtiger werdenden Cloud-Sparte AWS und zusehends auch mit Werbung.
Amazon ist kein Einzelfall. Auch die anderen großen Internetunternehmen melden derzeit gute Geschäfte. Allen voran Alphabet, Apple, Microsoft und Facebook, aber auch beispielsweise der immer beliebtere Videodienst Netflix.
Ja, das hängt einerseits mit der Pandemie zusammen: Die Tech-Konzerne bieten jene technologische Infrastruktur, mit deren Hilfe so viele Menschen besser als zunächst gedacht schnell ins Homeoffice wechseln, nun schon Monate dort arbeiten und den Geschäftsbetrieb infolgedessen aufrechterhalten konnten. Ihre Dienste ermöglichen auch, dass Freunde und Familie in Kontakt bleiben, die Schule nicht über lange Strecken komplett ausfällt, jeder auch aus einem breiten Freizeitunterhaltungs-Programm im eigenen Wohnzimmer wählen kann – oder eben den Gang ins Geschäft erspart, weil der Lieferant alles nach Hause bringt.
Und schließlich sind die Konzerne selbst von den gravierenden Einschränkungen allerorten vergleichsweise wenig betroffen, viel weniger jedenfalls als Reiseveranstalter, Fluggesellschaften, Gaststätten oder kleine Läden, die häufig in Existenznot geraten oder schon verschwunden sind. All das stimmt.
Welche Fähigkeiten fehlen?
Andererseits ist es ein Trugschluss zu glauben, ohne die Pandemie wären die Geschäfte der Internet-Unternehmen (und vieler anderer auch) bloß stagniert, im Gegenteil. Tatsächlich hat das Virus schon zuvor bestehende Trends verstärkt, bereits in Gang gekommene Entwicklungen beschleunigt – und dabei zum Teil schonungslos Schwächen auf vielen Ebenen offengelegt.
Umso wichtiger ist darum für alle Beteiligten, kontinuierlich und konsequent schon jetzt Lehren aus dieser Krise zu ziehen. Es reicht nicht abzuwarten, bis das Virus unter Kontrolle oder jeder Mensch geimpft ist. Bis alles wieder „normal“ ist – denn was heißt das schon?
Nach der Pandemie wird die Wirtschaftswelt, und vermutlich nicht nur sie, eine andere sein. Konkret absehbar ist, dass auch künftig viel mehr Menschen viel häufiger von Zuhause aus arbeiten werden (wollen). Kaum jemand möchte das fünf Tage in der Woche machen, aber eben auch nicht keinen. Was also heißt das für den eigenen Büroflächenbedarf und die alltäglichen Arbeitsabläufe aller Angestellten? Wie viele Geschäftsreisen braucht es wirklich? Welche Rolle sollen Videokonferenzen künftig spielen, nachdem sich herausgestellt hat, dass Kreativität, Qualität und Produktivität eben doch nicht so gelitten haben, wie das gelegentlich zu Beginn dieser Krise befürchtet wurde? Und welche Fähigkeiten und Fertigkeiten fehlen?
Nicht nur nach Schutz rufen
Die Fragen stellen sich überall. Ganz dringend im Bund, in den Ländern, Gemeinden, jeder einzelnen Behörde, jeder Schule. Die öffentliche Verwaltung muss in der Digitalisierung schneller und besser werden. Die Fragen stellen sich aber auch in den Unternehmen. Und sie stellen sich für jeden ganz persönlich.
Das belastet angesichts dessen, dass viele Ressourcen benötigt werden, um überhaupt die Pandemie durchzustehen, etwa um Hilfsmaßnahmen zu organisieren oder Impftermine. Gleichwohl ist das unumgänglich. Der technische Fortschritt pausiert nicht, das macht er in Krisenzeiten nicht, häufig gerade dann nicht.
Um den eigenen unternehmerischen Erfolg fortzuschreiben, hilft auch nur bedingt, nach mehr Schutz durch die Politik zu rufen. Ziemlich sicher ist, dass in Europa und Amerika neue Regeln für das Internet erlassen werden, die auch zum Ziel haben, gerade die Macht der dominierenden Unternehmen einzuhegen. Die Regierungen in Europa, Amerika und Asien versuchen zudem, industriepolitisch dafür sorgen, dass in als zentral angesehenen Bereichen wie der Mikroelektronik Unternehmen in der jeweiligen Region weniger abhängig von einzelnen Anbietern sein werden.
Das alles ersetzt aber nicht, selbst innovativ zu bleiben oder findiger zu werden. In Deutschlands wichtigsten Branchen gibt es übrigens entgegen der bisweilen vorherrschenden Wahrnehmung genügend Beispiele, die zeigen, wie das geht. Volkswagen-Chef Herbert Diess stellte unlängst ein europaweit angelegtes Batteriefabriken-Netz vor, Daimler-Chef Ola Källenius mit der neuen Limousine EQS das nun vielleicht hochkarätigste Elektroauto des Planeten (vor Tesla).
Alle deutschen Autokonzerne trauen sich mit dem Umstieg auf neue Antriebsformen übrigens substantiell ins Risiko, das ganze Land mit der Energiewende ebenfalls. Und nicht zu vergessen: Ohnehin konkurrieren deutsche Mittelständler schon seit Jahrzehnten auf Märkten rund um die Welt mit Lohnniveaus rund um die Welt. Nein, die Deutschen sind ganz und gar nicht so risikoscheu, wie ihre persönliche Lust an der Absicherung gegen allerlei Unbill manchmal vermuten lässt!
Das muss auch so bleiben. Und darauf muss sich zusehends auch der allgemeine Fokus wieder richten. Sosehr die Pandemie den Alltag nach wie vor kleinteilig beherrscht, so wichtig ist es, sie mehr und mehr zu durchschauen. Mit einer Gewissheit lässt sich dabei arbeiten: Kunden wünschen sich auch künftig niedrige Preise, breites Angebot - und schnelle Lieferung.
Die Pandemie durchschauen - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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