Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erhöht die Bundesregierung in Blitzgeschwindigkeit ihre Klimaziele. Die Automobilbranche und das Ifo-Institut sehen darin einen schädlichen nationalen Alleingang. 100.000 Jobs sind dadurch akut in Gefahr, rechnen die Ökonomen vor.
Die Automobilindustrie hat die von der Bundesregierung geplante Nachschärfung der Klimaschutzziele scharf kritisiert. Die jüngste Ankündigung in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hin sei ein nationaler Alleingang, erklärte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. "Mir ist es, ehrlich gesagt, unverständlich, dass quasi über Nacht die Ziele für den Klimaschutz verändert werden sollen." Und das noch, bevor die EU-Kommission ihre neuen Sektorziele zum Klimaschutz vorstelle. "Gute Gesetzgebung sieht anders aus", sagte Müller. Eine Gesetzgebung dieser Dimension ohne Beteiligung der Wirtschaft und ohne Folgenabschätzung, letztlich auch für Arbeitsplätze, schädige Vertrauen.
Die Bundesregierung hatte angekündigt, noch vor der Bundestagswahl im September das Ziel zum Absenken des CO2-Ausstoßes in Deutschland zu verschärfen. So sollen die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent statt wie bisher um 55 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Klimaneutralität solle schon 2045 statt 2050 erreicht werden. Zu einer Klimaneutralität 2050 bekenne sich die Autoindustrie, erklärte die VDA-Chefin. Nach Ansicht des VDA gehen die jetzt vorgestellten Pläne aber weit über das hinaus, was das Urteil aus Karlsruhe erfordert.
Das Bundesverfassungsgericht hatte vergangene Woche das Klimagesetz von 2019 als unzureichend gerügt und bis Ende 2022 eine Reform verlangt. Die Richter kritisierten, dass für die Zeit nach 2030 keine konkreten Vorgaben mehr auf dem Weg zur vorgesehenen Klimaneutralität 2050 gemacht wurden. Die Bundesregierung sei jetzt voreilig und riskiere, nach den erwarteten Vorgaben der EU alles noch einmal überarbeiten zu müssen, warnte Müller.
Ifo-Chef Fuest: "Überbietungswettbewerb bei Klimazielen"
Schützenhilfe leistete dem VDA der Chef des Ifo-Instituts Clemens Fuest bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zu Beschäftigungsfolgen des Wandels in der Autoindustrie hin zu klimaschonenden Antrieben. Er teile das Unbehagen über einen Überbietungswettbewerb bei Klimazielen, die eigentlich europäisch abgestimmt sein sollten. "Wir verschlechtern unsere Position in globalen Klimaverhandlungen, wenn wir voranschreiten und unilateral Ziele verändern. Ich kann mir das nur mit Wahlkampf erklären", sagte Fuest.
Laut der Ifo-Studie im Auftrag des VDA könnte der Strukturwandel hin zu mehr Elektrofahrzeugen den Wegfall von rund 100.000 Jobs in der deutschen Autoindustrie bedeuten. Im Jahr 2025 wären schätzungsweise mindestens 178.000 Beschäftigte von der Transformation betroffen, teilten die Münchner Forscher mit. Zugleich dürften bis dahin rund 75.000 Beschäftigte in der Produktion in den Ruhestand gehen, darunter rund 39.000 direkt im Fahrzeugbau, die übrigen bei Zulieferern.
"Vor allem für die mittelständisch geprägte Zuliefererbranche ist der Übergang zur Elektromobilität eine große Herausforderung", sagte Ifo-Präsident Fuest. "Es ist wichtig, in der verbleibenden Verbrennerproduktion und bei Elektrofahrzeugen hoch qualifizierte Jobs zu erhalten, ohne den Strukturwandel aufzuhalten." Für Elektroautos würden ganz andere Teile benötigt als für Wagen mit Verbrennungsmotor, erklärte Oliver Falck, Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien. Dieser Wandel sei noch nicht im gleichen Umfang beim Personal angekommen.
Ifo sieht 100.000 Jobs in Gefahr:VDA warnt vor deutschem Klima-Alleingang - n-tv NACHRICHTEN
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