Die ersten Banken in Deutschland sind offenbar bereit, nach dem spektakulären Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem April zu Gebührenerhöhungen beim Girokonto ihren Kunden Geld zurückzuzahlen. Postbank und Deutsche Bank teilten am Dienstag auf Anfrage mit, sie würden jetzt „jeden konkreten Erstattungsanspruch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit individuell prüfen und die Entgelte gegebenenfalls erstatten“.
Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Urteil bestimmte Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Banken für unwirksam erklärt, mit denen viele Institute in der Vergangenheit Gebührenerhöhungen durchgesetzt haben, indem sie Schweigen der Kunden als Zustimmung werteten. Die Urteilsbegründung, die der F.A.Z. vorliegt, erhärtete die Einschätzung der Unwirksamkeit.
Postbank und Deutsche Bank hoben jedoch hervor, auch wenn eine Vertragsanpassung im Einzelfall unwirksam gewesen sein sollte, könnten Kunden nicht pauschal alle gezahlten Entgelte zurückverlangen.
Prüfung von Rückzahlungen in jedem Einzelfall
Der Bundesgerichtshof habe mit seinem Urteil vom 27.April 2021 über Anlässe für vertragliche Änderungen entschieden, die in einem Dauerschuldverhältnis mit einer Bank vorkommen können, heißt es in den Ausführen der beiden Banken. Darunter seien auch Regelungen über Entgelte für die erbrachten Dienstleistungen.
Der BGH habe konkret entschieden, dass in bloßem Schweigen von Kunden keine Zustimmung zu einer Vertragsänderung liegen könne. Kunden könnten aber auf anderem Weg einer ihnen angebotenen Vertragsänderung in der Vergangenheit zugestimmt haben. So könnten Kunden Vertragsänderungsangebote der Bank ausdrücklich, zum Beispiel durch explizite Wahl eines Entgeltmodells, oder durch ihr Verhalten, zum Beispiel aktive Nutzung von neuen Leistungsmerkmalen wie beispielsweise der kontaktlosen Zahlungsfunktion auf der Girocard, angenommen haben. Denn eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung sei „naturgemäß nicht statisch, sondern definiert sich auch durch das Verhalten der Vertragsparteien“.
Auch wenn eine Vertragsanpassung im Einzelfall unwirksam gewesen sein sollte, können Kunden ferner nicht pauschal alle gezahlten Entgelte zurückverlangen, hoben die Banken hervor. Ein solcher Anspruch könne sich vielmehr nur auf solche Entgelte erstrecken, die seit der letzten wirksamen Vertragsanpassung oder seit dem ursprünglichen Vertragsschluss zu viel gezahlt worden sind. „Dies ist eine Frage des Einzelfalls“, schreiben die Banken: „Natürlich wird die Deutsche Bank/Postbank jeden konkreten Erstattungsanspruch hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit individuell prüfen und die Entgelte gegebenenfalls erstatten.“
Vorgehen auf Vorschlag des Bankenverbands
Auch die Bank ING kündigte an, jetzt im Einzelfall die Erstattung von Entgelten rund ums Girokonto zu prüfen. „Ob und in welcher Höhe und für welchen Zeitraum Entgelte zurückgefordert werden können, lässt sich nicht pauschal beantworten“, sagte ein Sprecher. Vielmehr sei dies eine Frage der jeweiligen Vertragshistorie zwischen Kunde und Bank: „Wir werden uns die einzelnen Kundenbeziehungen ansehen und uns für die sorgfältige Prüfung die notwendige Zeit nehmen.“
Auf Vorschlag des Bundesverbands deutscher Banken habe die ING Deutschland die betroffenen Klauseln kurzfristig so geändert, dass deren Anwendungsbereich auf Nicht-Verbraucher wie Unternehmen eingeschränkt sei. Im Ergebnis fänden die Änderungsklauseln damit für Retail-Kunden wie Verbraucher keine Anwendung mehr. Neukunden erhielten seither die eingeschränkten Klauseln. Außerdem seien die AGB auf der Webseite entsprechend geändert worden
Stiftung Warentest hat Musterbrief bereitgestellt
Aus vielen anderen Instituten von der Frankfurter Sparkasse über die Sparkasse Köln-Bonn und viele Volksbanken bis zur Commerzbank hieß es, man müsse die Urteilsbegründung zunächst genauer prüfen, um zu entscheiden, ob man Geld zurückzahle. Auch beim Banken-Dachverband Deutsche Kreditwirtschaft hieß es: „Derzeit werten wir die Urteilsgründe im Detail noch aus.“
In der Urteilbegründung, die ausgiebig auf die Argumente der Vorinstanzen eingeht und auch die europäische Rechtslage würdigt, heißt es unter anderem, die umstrittenen Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken hielten schon nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen einer Inhaltskontrolle nicht stand. Aus welchen Gründen der Kunde untätig bleibe, habe auf die Rechtswirkung keinen Einfluss. Auch mögliche Unsicherheiten in der Kreditwirtschaft sahen die Richter nicht als Argument gegen die Unwirksamkeit der Klauseln. Die Ursache für diese Unsicherheit liege in der Verantwortung der Banken, die sie eingeführt hätten, nicht im Verantwortungsbereich des Vertragspartners.
Mehrere Banken, darunter die Comdirect und die Sparkasse Köln-Bonn, hatten geplante Gebührenerhöhungen wegen des BGH-Urteils zunächst auf Eis gelegt. Die Stiftung Warentest hat einen Musterbrief ins Internet gestellt, mit dem Bankkunden von ihrer Bank Geld für frühere Gebührenerhöhungen zurückfordern können.
In Bankkreisen hatte es als erste Reaktion auf das Urteil geheißen, wenn nun gewaltige Beträge zurückgefordert würden, könnte das schwächere Institute unter Umständen in eine Schieflage bringen. Unter Umständen könnte es insgesamt um Milliardenbeträge gehen, wenn sehr viele Kunden jeweils einige Hundert Euro zurückverlangen sollten. Die Bankenaufsicht BaFin hatte zuletzt spekuliert, dass sich die Rückzahlungen für einige Institute auf die Hälfte des Jahresüberschusses beziffern könnten. Eine kleine Umfrage der F.A.Z. unter Banken und Sparkassen zeigte, dass den meisten Instituten schon Rückforderungen vorlagen. Von 40 Rückforderungen berichtete allein die Hamburger Volksbank. „Wir werden uns zu gegebener Zeit unaufgefordert wieder bei jedem einzelnen dieser Kunden melden“, sagte eine Sprecherin. Auch die Schlichtungsstelle des Bankenverbands wurde inzwischen eingeschaltet, auch auf diesem Weg verlangten Bankkunden schon ihr Geld zurück.
Die Bankenaufsicht BaFin hat angekündigt, darauf zu achten, dass die Banken ihren Verpflichtungen aus dem Urteil nachkämen. „Selbstverständlich hat die BaFin einen Blick darauf, ob und wie die Banken die aktuelle BGH-Entscheidung beachten und umsetzen“, sagte eine Bafin-Sprecherin: „Unabhängig davon sollten Kunden ihre Ansprüche bei ihrer Bank geltend machen.“
Erste Banken wollen Geld an Kunden zurückzahlen - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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