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Saturday, July 3, 2021

Abschied vom Nummernschild? Das ist die Zukunft der Autozulassung - WELT

Wer den Sicherheitsraum im dritten Stockwerk des Bürogebäudes betreten will, erhält nur mit einem besonderen Computerchip Zutritt. In dem großen Raum überwachen Kameras das Geschehen. Auch die Fenster sind eine Spezialanfertigung.

Die Glasscheiben sind an den Innenseiten mit Metall bedampft. Wird ein Loch in die Fensterscheibe geschnitten, löst das einen Alarm aus. Sensoren als Einbruchsmelder reichten für die Sicherheitsansprüche des norddeutschen Mittelständlers Kroschke nicht aus. Manches Gefängnis dürfte weniger abgesichert sein.

Die Beschäftigten, die in diesem Hochsicherheitstrakt arbeiten, sind für wertvolle Dokumente und Urkunden verantwortlich. Auf dieser Etage lagern etwa 1,3 Millionen Kfz-Briefe. Auftraggeber sind in vielen Fällen Banken, die ein Fahrzeug finanzieren. Solange der Kredit für das Auto nicht abgezahlt ist, bleibt die Urkunde über das Eigentum bei den Bankhäusern – und muss sicher verwahrt werden.

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In wieder anderen Schränken liegen rund 40.000 Zweitschlüssel für Mietwagen, die Autovermieter dem Unternehmen anvertrauen. Und in einem weiteren Teil des Stockwerks drucken die Beschäftigten gerade Fahrzeugbriefe für Tesla.

Die Vordrucke stammen von der Bundesdruckerei, die Urkunden unterliegen einer strengen Buchführung. Von dem Elektroautohersteller aus Kalifornien hat Kroschke den Dokumentenauftrag für alle in Deutschland verkauften Fahrzeuge der Marke bekommen – und der Auftrag für Europa soll folgen.

Sechs Millionen Kennzeichen pro Jahr

Allerdings hat Kroschke ein Problem, denn diese Arbeit wird in Zukunft weniger werden. Genauer gesagt wird der Anteil der Handarbeit abnehmen. Das Familienunternehmen in dritter Generation macht das Hauptgeschäft mit dem Zulassen von Fahrzeugen.

Kein anderer Anbieter verfügt mit rund 400 Geschäften über so viele Prägestellen für Kfz-Nummernschilder, kein anderer prägt im Jahr mehr als jene sechs Millionen Kennzeichen des Unternehmens. Das entspricht einem Marktanteil von knapp einem Drittel.

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Dieses Nischengeschäft im Mittelstand ist ein prägnantes Beispiel für den Zwang zum Wandel hin zur Digitalisierung von Arbeitsschritten. Für Kroschke geht es um nichts weniger als das langfristige Überleben. Der Ausgangspunkt ist klar: Für Privatkäufer ist es mühselig, nach dem Autokauf einen Termin bei der Zulassungsstelle zu bekommen, sich an dem Tag freizunehmen und sämtliche Dokumente akkurat vorweisen zu müssen.

Wirklich notwendig ist all das in Zeiten von Onlinezugängen, elektronischer Verwaltung und Blockchain-Technologie zur Datensicherheit nicht mehr. Ziel des Mittelständlers aus Ahrensburg ist es, als Erster mit der digitalen Fahrzeugakte am Markt zu sein.

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Deutschland ist bei der Digitalisierung von Behördengängen eine Diaspora. Länder wie Estland machen es längst vor, dass auch für die Autozulassung der Schritt nicht mehr aus dem Haus gesetzt werden muss. Die Nummernschilder, der physisch notwendige Teil der Zulassung, kommen dann per Post.

Im Digital Quality of Life Index 2020 des Internetdienstes Surfshark belegt Deutschland nur Platz 16 weit hinter den führenden Ländern Dänemark, Schweden und Kanada. Besonders in den Kategorien digitale Infrastruktur, Internet-Bezahlbarkeit und Internet-Qualität schneidet das Land schlecht ab.

Kroschke will „PayPal der Autozulassungsbranche“ werden

In Estlands Hauptstadt Tallinn sind die beiden Unternehmer längst gewesen, um sich Anregungen für ihr Geschäft zu holen: Philipp und Felix Kroschke, zwei von sechs Kindern des langjährigen Firmenchefs Christoph Kroschke. Die Brüder haben die Führung des Mittelständlers übernommen und stellen sich dem weitreichenden Wandel. Der eine ist Betriebswirt und verantwortet den Betrieb sowie Vertrieb, der andere ist Jurist und für die Finanzen zuständig.

Zusammen wollen sie das Unternehmen zum PayPal der Autozulassungsbranche machen: Ähnlich wie es der Online-Bezahldienst beim Interneteinkauf vorgemacht hat, soll Kroschke zum Synonym für die Online-Autozulassung werden. „So wie sich der Autoverkauf in das Internet verlagert, wird auch die digitale Zulassung folgen“, sagt der 43-jährige Philipp Kroschke. In den kommenden fünf bis zehn Jahren wird genau das seiner Einschätzung nach passieren.

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In Teilen existiert die Digitalisierung in dieser Branche bereits. So kann ein Privateigentümer ein Auto per Onlinedienst abmelden oder ein Fahrzeug nach einer Pause wieder zulassen. Dafür hat das Bundesverkehrsministerium das i-Kfz-Verfahren entworfen. Etwa zwei Drittel der bundesweiten Landkreise könnten es einführen, doch bislang führt diese digitale Lösung ein Schattendasein.

Experten monieren, dass das Verfahren viel zu umständlich geraten sei. Um den Onlineservice zu nutzen, braucht der Kunde einen elektronischen Personalausweis mitsamt Onlinefunktion, Fahrzeugpapiere mit Einmal-Code und in Teilen auch ein Lesegerät.

„Die Voraussetzungen wie eine Ausweis-App sind hoch. Solange Autohändler das System nicht nutzerfreundlich anwenden können, sind der Nutzen und damit auch die Nutzung gering“, sagt der 33-jährige Felix Kroschke.

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An vielen Stellen gibt es Klagen über die schleppende Digitalisierung des Landes. „Deutschland hat sich zwar im Onlinezugangsgesetz zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2022 insgesamt 575 Verwaltungsvorgänge zu digitalisieren. Momentan ist es jedoch sehr ungewiss, ob dieses Vorhaben erreicht werden kann“, sagt Michael Pfefferle vom Digitalverband Bitkom.

Er leitet dort den Bereich Smart City und Smart Region. Laut dem Normenkontrollrat wurden bislang lediglich 75 dieser Verwaltungsabläufe in die Digitalisierung überführt. „Dass es so langsam vorangeht, liegt auch daran, dass zwischen Berlin und den Ländern und Kommunen ständig die Verantwortung hin und her geschoben wird“, sagt Pfefferle.

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Laut einer Befragung des Bitkom fehlt es in den Kommunen am Geld, an einheitlichen Vorgaben und Standards von Seiten des Bundes und an fachlicher Unterstützung etwa durch die Länder. „Hauptproblem ist doch, dass die digitale Identifizierung und Authentifizierung bei Behördengängen nicht angeboten werden“, sagt Pfefferle.

Die sogenannte Schriftformerfordernis, bei der für einen Behördenantrag immer noch eine Unterschrift notwendig sei, behindere die Digitalisierung von Dienstleistungen enorm. „Die Gesetze in Deutschland sind nicht für den digitalen Raum gemacht“, sagt Pfefferle.

Identifikation ist unerlässlich

Allerdings wird in der Mobilität und im Individualverkehr wohl auf lange Sicht eine Kennzeichnungspflicht notwendig sein. Ob es ein Bußgeld, eine Strafverfolgung oder die Versicherung und Kfz-Steuer betrifft – die Identifikation von Auto und Fahrer ist an vielen Stellen unerlässlich.

„Es muss immer eine eindeutig nachzuweisende Verheiratung des Eigentümers mit dem Fahrzeug geben“, sagt Philipp Kroschke. Doch machbar sei dies auch ohne klassisches Autokennzeichen. Fachleute sprechen von einer Sichtidentifikation.

Spezielle Aufkleber an der Windschutzscheibe, sogenannte RFID-Chips oder die NFC-Technologie können diese Identifikation übernehmen. Kameras oder Sensoren an den Straßen könnten derartige Information dann auslesen.

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In einem Projekt testet Kroschke gerade derartige Lösungen. Auftraggeber ist der westafrikanische Staat Elfenbeinküste. Die Technik soll Fahrzeugdiebstahl vorbeugen und Zugangsmöglichkeiten zu bestimmtem Gelände kontrollieren. Für Teile davon hält das norddeutsche Unternehmen Patente.

Bei der VW-Tochter Moia mit dem auf autonomes Fahren ausgelegten Fahrdienst hat der Mittelständler eine auf digitaler Technologie basierende Flottenverwaltung übernommen. „Vollautonomes Fahren wird in vielleicht 20 Jahren das Kennzeichen ablösen. Sobald sich Fahrzeuge gegenseitig identifizieren und miteinander kommunizieren können, wird dies möglich“, sagt Felix Kroschke. Der eigene Bereich der Informationstechnologie zählt mittlerweile 60 Beschäftigte, auch Experten aus Indien sind darunter.

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Noch ist das Hauptgeschäft jedoch die Kfz-Zulassung, für jährlich rund eine Million Privatkunden erledigt das Unternehmen den Behördengang zum Komplettpreis von derzeit 139 Euro. Hinzu kommen Aufträge von Geschäftskunden wie Autohändlern, Autovermietern, Leasinggesellschaften oder Banken.

Bei den Vermietern hat das Unternehmen „Federn lassen müssen“, wie Juniorchef Philipp Kroschke sagt. Andere Anbieter haben die Preise der Ahrensburger unterboten und Kunden gewonnen. Das zukunftsträchtige Geschäft kommt aus dem Onlinehandel. „Wir sprechen mit allen Händlern, Internetplattformen und Start-ups, die Autos online verkaufen“, sagt Felix Kroschke.

Engpässe bei Neuwagen

Im Corona-Jahr 2020 fiel die Hauptsaison der Zulassungen, das Frühjahr, für Kroschke nahezu aus. Über Monate waren Standorte für das Prägen der Kennzeichen geschlossen, meistens liegen sie in unmittelbarer Nähe zur Zulassungsstelle.

Ein Großteil der 1900 Beschäftigten war in Kurzarbeit. Am Jahresende lag der Umsatz knapp unter 100 Millionen Euro und damit um sechs Prozent unter dem Rekordjahr 2019. Das neue Jahr ist nach den Angaben besser angelaufen, doch nun sorgen Engpässe bei Neuwagen für Wachstumsgrenzen.

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Gewinnzahlen nennt Kroschke nicht. Das Unternehmen sei „hochprofitabel“, die operative Umsatzrendite liege im zweistelligen Prozentbereich, heißt es. Neben Kroschke tummeln sich viele kleine Anbieter in der Branche, größere Unternehmen darunter sind PS-Team, Tönjes oder EHA Autoschilder.

Der Trend für das 1957 gegründete Familienunternehmen ist absehbar: In den kommenden Jahren wird die Zahl der „Buden“ an den Zulassungsstellen zum Prägen der Kennzeichen abnehmen. Und damit wird sich auch die Beschäftigung in dem Bereich von derzeit rund 1100 Mitarbeitern verringern.

Ausgebaut werden dagegen die Informationstechnologie und das Verwalten und Pflegen von Daten – doch nicht in gleichem Umfang und oftmals mit anderer Berufsqualifikation. Statt des „Schildermachers“ sieht sich Kroschke selbst in einigen Jahren als Daten-Erfassungszentrum. Die Internationalisierung soll helfen, den Wandel zu bestehen. Ziel ist es, bis 2024 in zehn europäischen Ländern ein digitales Zulassungsgeschäft aufzubauen.

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Anderswo wird schon heute auf das Autokennzeichen verzichtet. In Kalifornien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es Versuche mit Leuchtkennzeichen, bei denen elektronische Anzeigen die Blechschilder ersetzen.

Ob deutsche Behörden diese Sichtidentifikation zulassen würden, ist fraglich. Sie kümmern sich lieber um Buchstaben. Gerade kommen in Landkreisen Pläne auf, das doppelte „X“ im Kennzeichen zu verbieten. Angeblich können die Kameras in Geräten zur Geschwindigkeitskontrolle die Zeichen nicht fehlerfrei auslesen.

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