Selbst für Wacker läuft es wieder. Nachdem der deutsche Spezialchemiekonzern noch 2020 wegen der schwächelnden Solarbranche jede Menge Stellen streichen wollte, kann sich der Münchner Konzern nun über einen Großauftrag freuen.
Der chinesische Hersteller von Solarmodulen Jinkosolar will von September 2021 bis Ende 2026 insgesamt mehr als 70.000 Tonnen Polysilizium von Wacker geliefert bekommen. Zum Vergleich: Üblicherweise produziert die Firma 80.000 Tonnen Polysilizium pro Jahr.
Auch insgesamt boomen die Geschäfte der deutschen Chemieindustrie. Die Branche steuert laut ihres Verbands VCI auf ein Rekordjahr zu. Im ersten Halbjahr 2021 haben demnach kräftig gestiegene Preise und eine um 5,9 Prozent gewachsene Produktion die Umsätze der drittgrößten deutschen Industriebranche um zwölf Prozent auf den Rekordwert von 111 Milliarden Euro getrieben, wie der Verband in Frankfurt mitteilte. Voraussetzung sei die weltweite Erholung der Industrieproduktion gewesen, sodass die Nachfrage aus sämtlichen Kundenbranchen komme.
Ärger über geplante EU-Grenzzölle
Für das laufende Jahr erwartet VCI-Präsident Christian Kullmann trotz angespannter Lieferketten und Engpässen bei Vorprodukten einen Umsatzrekord von 211 Milliarden Euro. Bisheriger Bestwert ist das Jahr 2018 mit 203 Milliarden Euro, während im Coronajahr 2020 nur knapp 190 Milliarden Euro erlöst wurden.
»Das ist ein kraftvolles Comeback. Es zeigt eindrucksvoll, wie wichtig eine international wettbewerbsfähige Chemie- und Pharmaindustrie als Stabilitätsanker für unser Land ist«, sagte der Evonik-Chef. Auch bei den Investitionen sei wegen einiger Nachholeffekte ein Rekord zu erwarten, die Zahl der Beschäftigten werde ungefähr konstant bei 464.400 bleiben.
Pharmageschäft verläuft verhaltener
Zuletzt war die Chemieindustrie in Deutschland jedoch mit einem schweren Unglück in die Schlagzeilen geraten. In einer Sondermüllverbrennungsanlage der Firma Currenta im Chempark Leverkusen wurden bei einer Explosion mehrere Menschen getötet. Über die Frage der Sicherheit dieser Industrie wird seither wieder intensiv gestritten.
Auch die Rolle der Chemieindustrie beim CO₂-Ausstoß und damit für den Klimawandel rückte zuletzt stärker in den Fokus. VCI-Chef Kullmann wetterte dabei nun gegen die Klimapläne der EU-Kommission. Der geplante Ausgleich für klimaschädlich hergestellte Produkte aus dem EU-Ausland werde nicht funktionieren, sagte der Manager. »Grenzsteuern sichern nicht die Wettbewerbsfähigkeit in den globalen Märkten.« Statt der erhofften Steuerung werde es zu Gegenmaßnahmen der großen Handelspartner wie USA oder China kommen. Das Ergebnis wäre mehr Protektionismus anstelle einer gemeinsamen Klimastrategie.
Wandert die energieintensive Industrie aus Europa ab?
Noch können laut VCI jedoch fast alle Bereiche der Branche von dem Aufschwung profitieren. Besonders dynamisch legte die Grundstoffchemie zu: Die Produktion von Kunststoffen (Polymeren) stieg um mehr als 20 Prozent. Aber auch die Hersteller von Spezialchemikalien konnten ihr Produktionsniveau um 8,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausweiten. Verhaltener lief trotz der Coronaimpfstoffe das Wachstum bei Herstellern von Pharmazeutika (plus 1,4 Prozent), während es bei chemischen Konsumgütern wie Seifen, Wasch- und Reinigungsmitteln einen Mengenrückgang von 1,8 Prozent gab.
Vor der Bundestagswahl verlangt die Industrie jedoch schnellere Genehmigungen, geringere Steuern und mehr Forschungsförderung. Akuten Handlungsbedarf sehe man beim Strompreis, der für die Unternehmen derzeit dreimal so hoch sei wie im Vorjahr. Für die Klimawende werde es absehbar viel mehr Strom brauchen, der aber gleichzeitig künstlich verteuert werde, klagte Kullmann. »Gegen die politisch gewollte Strompreisspirale können die Unternehmen nichts ausrichten.« Es drohe die Abwanderung energieintensiver Produktionsteile aus Europa.
Comeback nach Coronaeinbruch: Chemieindustrie steuert auf neuen Umsatzrekord zu - DER SPIEGEL
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