Am meisten Aufsehen erregt wohl der Krabben-Modus: Der neue Hummer kann alle vier Räder gleichzeitig um zehn Grad in dieselbe Richtung drehen und seitwärts rollen. So soll das mächtige Auto besonders enges und kurviges Gelände bewältigen. Oder bei einem Trip durch die Stadt einfacher in Parklücken kommen.
Zudem kann der Hummer durch 60 Zentimeter tiefes Wasser fahren und sich selbst um 15 Zentimeter in die Höhe pumpen, um Steine und Spalten zu überwinden. Der Gigant hat 1000 PS und schafft es in drei Sekunden von null auf 100, was eher an einen Sportwagen erinnert als an einen Pick-up. Aber am überraschendsten ist wohl: All das soll nicht mehr mit einem Verbrennungsmotor erreicht werden, so wie früher, sondern mit einem Elektromotor.
Oder genauer: mit drei Elektromotoren, wie der Hersteller General Motors (GM) nun im US-Bundesstaat Michigan angekündigt hat. „Das Fahrzeug“, sagte Firmenpräsident Mark Reuss, „stellt unter Beweis, wozu GM in der Lage ist.“ Reuss bezeichnete den Geländewagen als einen „Leuchtturm“, der zeige, wohin die Reise für GM und den Rest der Branche gehe.
Reuss präsentierte zwei neue Motorenmodelle, die GM helfen sollen, das selbst gesteckte Klimaziel zu erreichen: eine komplett elektrische Flotte bis zum Jahr 2035. Eine Maschine bietet 180 Kilowatt Leistung, die andere 255 Kilowatt. Beide laufen unter dem Namen Ultium und sind Reuss zufolge nur noch halb so schwer und halb so groß wie die Elektroantriebe, die GM derzeit nutzt. Der Hummer wird – wenig überraschend – die 255-Kilowatt-Varianten verwenden.
Die Ultium-Plattform soll in die gesamte nächste E-Auto-Generation des Konzerns eingebaut werden. Aber los geht es mit dem Hummer, der eine spezielle Bodenpanzerung erhält, damit die Batterien in steinigem Gelände geschützt sind. Der Wagen wurde vor einem Jahr vorgestellt und soll in den kommenden Monaten erhältlich sein. Preis: ab 112.595 Dollar.
Der neue Hummer ist das vielleicht absurdeste Strom-Auto der Welt: einst ein Militärfahrzeug, später Amerikas protzigster SUV – und nun grün. Er ist ein Symbol dafür, wie radikal sich GM und die gesamte Branche wandeln. Die Elektro-Revolution erreicht das Herz der amerikanischen Autoindustrie – die Pick-ups. Alle Hersteller wissen, dass der Aufbruch in die Ära der Batterieantriebe nur gelingt, wenn auch die Modelle mit den offenen Ladeflächen elektrisch werden. Kompakte E-Autos für die urbanen Eliten genügen dafür nicht.
Nichts ist so wichtig für die US-Autofirmen wie das Geschäft mit den Pick-ups. Die Amerikaner lieben die Wagen. Jeder fünfte Bürger fährt einen, in North Dakota und Wyoming sogar fast jeder zweite. Der F-150 von Ford, der König der Pick-ups, wurde im vergangenen Jahr 790.000-mal verkauft, das schaffte kein anderes Modell in den Vereinigten Staaten. Dahinter folgten der Chevrolet Silverado mit 590.000 und der Ram von Stellantis mit 560.000 Verkäufen. Erst dann kamen Limousinen und SUVs.
Einen Pick-up zu besitzen, das ist in Amerika auch die Entscheidung für einen Lebensstil. Die Wagen sind so etwas wie die letzte Bastion jener Autofahrer, die sich nicht dem Trend zu kleinen, sparsamen Modellen beugen wollen. Viele von ihnen sind stolz auf ihre röhrenden Maschinen. Manche lassen die Motoren aufmotzen, damit sie noch lauter blubbern. Andere blockieren beim Parken absichtlich Ladesäulen, weil sie Batteriefahrzeuge verabscheuen.
Das dürfte ein Grund dafür sein, dass sich Amerikas Autohersteller lange Zeit nicht an Elektro-Pick-ups wagten. Hinzu kommt, dass die Wagen größer und schwerer als Limousinen sind und Lasten ziehen können müssen, was eine Herausforderung für die Batterien bedeutet. Aber inzwischen ist die Technologie für solche Aufgaben ausgereift genug.
Der direkte Rivale des neuen Hummer ist Teslas Cybertruck, der 2022 vom Band rollen soll. Die Kreation des Milliardärs Elon Musk sieht ebenso verrückt aus und bietet eine ähnliche Leistung. Auch der Cybertruck ist beides: Pick-up und Porsche. Er soll 6,5 Tonnen Last ziehen können, ohne Anhänger aber in 2,9 Sekunden von null auf 100 kommen. Seine Reichweite beträgt Tesla zufolge 800 Kilometer. Hier könnte er vor dem Hummer liegen. GM verspricht nur 560 Kilometer.
Ein weiterer Konkurrent für den Hummer: der R1T des kalifornischen Start-ups Rivian. Die ersten Modelle sollen noch in diesem Jahr ausgeliefert werden. Der R1T sieht nicht so futuristisch wie der Cybertruck aus oder so panzerhaft wie der Hummer, erreicht aber eine vergleichbar gute Performance und ist deutlich günstiger.
Und im kommenden Jahr erhält auch der F-150 einen Stromantrieb. Er könnte zum Elektro-Pick-up für die Massen aufsteigen. Der Hummer und der Cybertruck sind dafür zu exotisch, sie dürften eher Spielzeuge von Sportlern und Musikern werden (der Basketballstar LeBron James liebt den Hummer, der Rapper Travis Scott den Cybertruck). Und Rivian ist wohl nicht etabliert genug, um breite Käuferschichten anzulocken.
Ford hingegen könnte das schaffen. Der Konzern veröffentlichte vor einiger Zeit ein Video, das einen Prototypen des elektrischen F-150 zeigt, der zehn Eisenbahnwaggons zieht. Solche Bilder könnten die Amerikaner davon überzeugen, sich auf das große Strom-Experiment einzulassen.
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Absurdestes Elektro-Auto der Welt: Das kann der neue Super-Hummer - WELT
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