Rechercher dans ce blog

Sunday, September 12, 2021

IAA: Wenn Aktivisten das Hochamt der Autoindustrie kapern - WELT

Mehr als 120 Jahre sind vergangen, seit die erste Automobilausstellung in Deutschland im Berliner „Hotel Bristol“ stattfand – mit acht Autos, damals absolute Luxusobjekte. In den folgenden Jahrzehnten entwickelten sich die Messen zu einer Demonstration deutscher Ingenieurskunst: Bei der Internationalen Automobilausstellung (IAA) funkelte das Chrom, die deutsche Schlüsselbranche feierte sich und ihre Neuheiten. Wer wissen wollte, wie sich die PS-Welt entwickeln wird, der musste nach Frankfurt zur weltgrößten Automesse.

Das ist vorbei. Schon vor zwei Jahren bei der letzten Auflage dominierten Bilder der Autogegner. Das Auto war nicht mehr Symbol des Fortschritts, sondern plötzlich Teil eines Problems – des Klimaproblems.

Lesen Sie auch
Unter den Großstadtbewohnern halten 63 Prozent das Auto für unverzichtbar; auf dem Land sind es sogar 91 Prozent
Umfrage zur Mobilität

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) versuchte in dieser Woche einen Neunanfang. IAA Mobility heißt die Messe nach dem Umzug nach München. Das Auto soll nicht mehr allein im Fokus stehen. Kann das funktionieren? Szenen einer Messe-Woche.

Montag

Für eine Mobilitätsmesse ist die IAA erstaunlich schlecht erreichbar: Die Lokführer streiken, aber auch ohne den Ausstand wäre es mit der Bahn beschwerlich geworden. Ausgerechnet zur IAA baut die Bahn auf der Strecke Berlin–München, die Fahrtzeit verlängert sich von vier auf fast sieben Stunden. Zur Werbung für den automobilen Individualverkehr wird das Bahnchaos trotzdem nicht, auch auf den Autobahnen rund um München wird gebaut, der Verkehr schleppt sich Richtung Messe.

Auf dem Odeonsplatz laufen die Vorbereitungen für die Messestände in der Innenstadt. Autos sind am Daimler-Stand noch wenige zu sehen, dafür wird Rollrasen verlegt. „Hauptsache grün“ ist das Motto der Standdesigner. Der Kontrast zu früher könnte kaum größer sein: Damals gab es Messe-Hostessen in kurzen Röcken, heute sind es Topfpflanzen. Gezeigt werden fast nur noch Elektro- und Hybridmodelle.

Dienstag

Am Morgen gelingt einer Gruppe von Autogegnern ein Überraschungsangriff: An fünf Autobahnen rund um München seilen sie sich von Verkehrsschildern ab und hinterlassen darauf ihre Botschaften. Die Polizei schickt das Sondereinsatzkommando. Man hat sich in Bayern vorgenommen zu zeigen, dass man sich Proteste wie die gegen den G20-Gipfel in Hamburg nicht bieten lassen will. Neun Demonstranten müssen wegen der Aktion in Präventivgewahrsam, bis die IAA vorbei ist. Fünf Tage Gefängnis wegen des Verdachts der Nötigung und des gefährlichen Eingriffs in den Verkehr.

Lesen Sie auch
Platform_Medium_SideView_GreenParkBackground_NoReflexion_

Um 14.30 Uhr eröffnet Bundeskanzlerin Angela Merkel in Halle A3 die IAA. Sie nimmt das neue Konzept ernst: Minutenlang spricht sie über den Fahrradboom in Deutschland, der Applaus der anwesenden Automanager fällt spärlich aus. Beim Rundgang über die Messe lässt sich Merkel Lastenfahrräder vorführen. Das zweite Thema, das die Kanzlerin interessiert: autonomes Fahren. Sie stoppt beim israelischen Robotaxi-Start-up Mobileye, und BMW-Chef Oliver Zipse fragt sie, wie weit die selbstfahrenden Autos sind.

Mittwoch

Autos gibt es auch zu sehen. VW zeigt den ID.Life, ein kleines Elektrofahrzeug, das 2025 für rund 20.000 Euro auf dem Markt kommen soll. Die Optik überzeugt nicht jeden auf der Messe. Ein wenig erinnert das Design an einen Elektro-Trabi. Am Stand von BMW präsentiert der Konzern den i Vision Circular, ein Recycling-Auto aus wiederverwendeten Materialien.

Daimler zeigt die elektrische E-Klasse EQE und denkt über eine Batterieversion des Geländewagens G-Klasse nach. Wie viele Tonnen Batterie das schwere Fahrzeug bräuchte und wie weit man damit käme, bleibt offen. Um PS, Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeiten geht es nicht mehr. Insgesamt ist die Messe deutlich kleiner geworden, weniger Aussteller sind gekommen. Die Stände der Hersteller, die noch da sind, sind im Vergleich zur Frankfurter Zeit deutlich geschrumpft.

Donnerstag

Der Tag im „Mobilitätswendecamp“ der Autogegner auf der Theresienwiese beginnt mit einem veganen Frühstück und „offener Diskussion“, an der alle teilnehmen dürfen. Das ist keineswegs selbstverständlich: Einige Programmpunkte des Zeltlagers sind „FLINTAS*“ vorbehalten. Wer hier mitmacht, weiß, was diese Abkürzung bedeutet: heterosexuelle Männer unerwünscht. Um zehn Uhr beginnt laut Programm der Vortrag „Ökofeministische Perspektiven: Critical Whiteness und Herrschaftskritik – warum wir die Klimabewegung dekolonialisieren müssen“. Der Tag endet mit Mitternachtsyoga und „Protestschlafen“.

Lesen Sie auch
Wer geht gestärkt aus der Revolution des Autos hervor – und wer verliert den Anschluss?
VW, Tesla, Ford und Co.

Dass die neue Mobilität mit einem Verzicht aufs Auto einhergehen würde, so, wie es die Demonstranten fordern, erwarten die Auto-Manager nicht. Sie fühlen sich bestärkt durch Umfragen, die zeigen, dass die Deutschen sich am liebsten mit dem eigenen Wagen fortbewegen. Für die meisten Menschen im Land werde das so bleiben, meinen praktisch alle Vertreter der Branche. Angst um das Auto müsse man nicht haben, versichert Daimler-Chef Ola Källenius schon vor Beginn der IAA.

Freitag

Schon in der Nacht wurde das Privathaus von VW-Chef Herbert Diess in München beschmiert. „Diess enteignen“, steht in roter Farbe an der Fassade. Am Camp der Autogegner kommt es am Morgen zu Rangeleien mit der Polizei, die Beamten setzen Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Trotz des Polizeiaufgebots gelingt es den rund 1000 Gegnern, an vielen Stellen in der Stadt für Unruhe zu sorgen.

Lesen Sie auch
Die Hersteller liefern sich ein Wettrennen um das grünste Produkt und die grünste Produktion
Grüne Mobilität

Aktivisten überraschen am Königsplatz die Polizei und zünden vor dem Bosch-Stand rote Rauchbomben, fast zeitgleich demonstriert eine andere Gruppe vor dem Werk des Autozulieferers im Stadtteil Berg am Laim. Um 11.45 Uhr blockieren Aktivisten die sogenannte „Bluelane“, eine Fahrspur der Autobahn, die die Stände in der Innenstadt mit denen auf dem Messegelände verbindet. Am Nachmittag kommt es zu einer Sitzblockade am Odeonsplatz vor dem Daimler-Stand. Fast trotzig verschickt der VDA „die schönsten Bilder“ der Messe.

Samstag

Am Mittag setzt sich ein Protestzug von der Theresienwiese aus in Richtung Innenstadt in Bewegung. Entlang der Route kommt es zu Verkehrsbehinderungen. Demonstranten zünden Pyrotechnik. Über dem Protestmarsch hängt eine lila Rauchwolke. Bei Twitter laden Demonstranten Bilder hoch. „Gute Stimmung im Block, Cops Not amused“, heißt es da. Am frühen Abend eskalieren die Auseinandersetzungen. Die Polizei setzt wieder Tränengas und Schlagstöcke ein. Es sind die Bilder, die wohl von dieser IAA bleiben werden.

Adblock test (Why?)


IAA: Wenn Aktivisten das Hochamt der Autoindustrie kapern - WELT
Read More

No comments:

Post a Comment

adidas-Aktie nachbörslich deutlich tiefer: adidas übertrifft eigene Prognose - Yeezy-Verkäufe sorgen für schwarze Zahlen - finanzen.net

Der Sportartikelkonzern adidas hat im vergangenen Jahr besser abgeschnitten als von ihm zuletzt prognostiziert. Der Nike -Rivale kündigte...