Während die Angst vor Inflation die Verbraucher in Deutschland zu vermehrten Geldausgaben treibt, gibt sich die scheidende Bundesregierung gelassen.
Bei den zuletzt steigenden Teuerungsraten handle es sich überwiegend um Basiseffekte durch die im vergangenen Jahr abgesenkte Mehrwertsteuer und die damals sehr niedrigen Energiepreise während der Hochphase der Pandemie, sagte der geschäftsführende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bei der Vorstellung der Herbstprognose. Die Bundesregierung geht darin für dieses Jahr nur von einer Inflationsrate von 3,0 Prozent aus.
Viele Deutsche sehen die Lage weniger entspannt und neigen sogar zu Angstkäufen. Zu diesem Ergebnis kommt das Nürnberger Konsumforschungsunternehmen GfK aufgrund seiner jüngsten Konsumklima-Studie. „Die Bundesbürger erwarten offenbar weitere Preissteigerungen.
Deshalb halten sie es für ratsam, Anschaffungen vorzuziehen, um noch höhere Preise zu vermeiden“, kommentierte GfK-Experte Rolf Bürkl die Entwicklung des Indizes im Oktober. Danach ist die Anschaffungsneigung um sechs Zähler auf 19,4 Punkt und damit auf den höchsten Wert seit zehn Monaten gestiegen, obwohl die Erwartungen an die Konjunkturentwicklung stagnieren. Zugleich dämpfen Sorgen über steigende Teuerungsraten die Erwartungen an das eigene Einkommen.
Die GfK-Forscher haben für die Studie zwischen 30. September und 11. Oktober 2000 Interviews geführt. Auch die sinkende Sparquote spreche dafür, dass die zunehmen Kauflust den umfassenden Konsumklimaindex – ein weithin anerkannter Maßstab für die Kauflaune der Deutschen – im November auf 0,9 Punkte nach oben treiben werde. Das wäre ein halber Punkt mehr als im Oktober.
2006/2007 wiederholt sich
„Wenn die Menschen davon ausgehen, dass die Preise steigen, nehmen sie Geld in die Hand“, sagte Michael Grömling, Konjunkturchef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer Anfang 2007 von 16 auf 19 Prozent biete eine historische Parallele: „Im vierten Quartal 2006 kam es zu einem wahren Run auf die Geschäfte, Anfang 2007 folgte entsprechend der Kater“, so Grömling gegenüber WELT.
Ob es jetzt zu einem ähnlichen Ansturm der Kunden komme, müsse sich aber erst noch zeigen. Schließlich seien Preissteigerungen damals durch die höheren Steuersätze völlig absehbar gewesen, anders als heute. Mehrere Experten verwiesen zudem darauf, dass die Inflationsraten überwiegend durch den Bereich Energie getrieben würden.
„Doch steigenden Energiepreisen kann man durch vorgezogene Käufe kaum entkommen“, sagte Torsten Schmidt, Konjunkturchef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Schmidt verwies zudem darauf, dass viele Konsumenten derzeit Ersparnisse abbauten, die in der Corona-Phase mangels Ausgabemöglichkeit angeschwollen seien: „Konsumenten leisten sich jetzt Dinge, die ihnen in den letzten Jahren verwehrt blieben.“
Nach Einschätzung des IW haben die Menschen in Deutschland allein im vergangenen Jahr 150 Milliarden Euro weniger ausgegeben als dies ohne Corona der Fall gewesen wäre. Dennoch will Grömling nicht ausschließen, dass ein Nachfrageboom eine Spirale von Versorgungsschwierigkeiten anheizt: „Die Angst vor steigenden Preisen und Engpässen kann Ereignisse auslösen, die erst durch diese Angst entstehen.“
Erholung verschiebt sich nach hinten
Nach Einschätzung der Bundesregierung handelt es sich bei der derzeit erhöhten Inflation in Deutschland um einen kurzen Spuk. Schon im kommenden Jahr soll die Teuerungsrate auf 2,2 Prozent sinken, so die Herbstprognose. Für 2023 erwartet Altmaier eine Inflationsrate von nur noch 1,7 Prozent und damit sogar wieder unter der Zielmarke von bis zu 2 Prozent.
Allerdings drücken die derzeit hohen Energiepreise genau wie die Lieferengpässe das Wirtschaftswachstum. Die amtierende Bundesregierung erwartet in diesem Jahr nur noch ein Konjunkturplus von 2,6 Prozent, noch im Frühjahr waren Altmaiers Experten von 3,5 Prozent ausgegangen.
Damit verschiebt sich die Erholung nach dem massiven Einbruch durch die Corona-Krise weiter nach hinten. Inzwischen erwartet die Regierung, dass das Vorkrisenniveau im Lauf des ersten Quartals des kommenden Jahres erreicht wird, bislang war man vom Ende dieses Jahres ausgegangen.
Das Wachstum, so die Hoffnung von Altmaier, sei nur verschoben, für 2022 erwartet die Regierung nun ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 4,1 Prozent, 2023 soll sich das Wachstum dann auf 1,6 Prozent normalisieren.
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Konsumklima: Jetzt beginnen die Deutschen mit Angstkäufen - WELT
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