Rechercher dans ce blog

Thursday, October 7, 2021

„Tesla-Schock“: Der deutschen Industrie bleibt nur wenig Zeit - WELT

Deutschlands Unternehmen bleibt nur noch wenig Zeit, um sich auf den anstehenden großen Strukturwandel einzustellen. Davor warnt der Soziologe Andreas Boes vom Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (BIDT). „Die deutsche Wirtschaft wird maximal fünf Jahre Zeit haben, um die Weichen zu stellen mit Blick auf die Einhaltung der Pariser Klimaziele und auf die Herausforderung der Digitalisierung“, sagte Boes. „Wenn uns das nicht gelingt, geraten wir in eine Abwärtsspirale, aus der wir meiner Meinung nach nicht mehr herauskommen.“

Im April hatte Boes eine Studie zu den Auswirkungen des „Tesla-Schocks“ auf die Deutsche Automobilindustrie vorgelegt. Der Konzern von Elon Musk gilt in der Branche nicht nur technologisch als Vorreiter, sondern auch was die Perspektive aufs Auto angeht: Für Musks Ingenieure steht die Software im Mittelpunkt, die Prozesse im Unternehmen organisieren sie wie in einer IT-Firma. Auch deswegen zieht Volkswagen-Chef Herbert Diess Tesla immer wieder als Maßstab für die Transformation des eigenen Konzerns heran.

Aus Boes‘ Sicht muss die deutsche Industrie vor allem bei der Digitalisierung Versäumnisse aufholen. „Die Politik und die Unternehmen sind falsch abgebogen, als die Digitalisierung mit dem Internet richtig Fahrt aufgenommen hat“, sagte Boes. Man habe Digitalisierung in Deutschland lange Zeit falsch verstanden und nur als eine Form der Automatisierung wahrgenommen.

Lesen Sie auch
futuristic engine
Continental-Tochter Vitesco

Ein Beispiel dafür sei die Initiative Industrie 4.0, die sich viel zu lange mit technischen Standardisierungen in Form einer „Verwaltungsschale“ statt mit digitalen Geschäftsmodellen und gemeinsamen Plattformen befasst hat. „Durch das Netz ist ein neuer Informationsraum entstanden, der die Raum-Zeit-Struktur der Welt verändert hat.“ Erst vor wenigen Jahren hätten die Unternehmen im Land begriffen, dass sie diesen neuen Raum für sich nutzen müssen.

Ariane Reinhart, Vorstandsmitglied des Automobilzulieferers Continental, sieht ihren Konzern als Vorreiter in diesem Feld. „Wir sind schon immer digital-affin gewesen in unserem Unternehmen“, sagte sie im Gespräch mit Boes. „Transformation liegt in unserer DNA.“ Das Unternehmen feiert in diesem Monat seinen 150. Geburtstag.

Lesen Sie auch
Wer geht gestärkt aus der Revolution des Autos hervor – und wer verliert den Anschluss?
VW, Tesla, Ford und Co.

Der Münchener Historiker Paul Erker und der Chef des Conti-Archivs, Nils Fehlhaber, haben dazu eine Firmenchronik geschrieben, die den Weg des Unternehmens als eine Folge von mindestens neun Transformationen beschreibt.

Was moderne Schlagwörter wie „agiles Unternehmen“, „Change Management“ oder „Purpose“ beschreiben, habe es schon immer gegeben, schreiben die Historiker. Schon zwischen 1871 und 1896 habe Conti seine erste Transformation durchlaufen: „In diesen 25 Jahren entwickelte sich das Unternehmen von einem risiko- und mängelbehafteten Start-up-Business zu einem etablierten Unternehmen“, heißt es in der Chronik.

Lesen Sie auch
Tesla CEO Elon Musk gestures during the unveiling of the new Tesla Model Y in Hawthorne, California on March 14, 2019. - Tesla introduced a new electric sports utility vehicle slightly bigger and more expensive than its Model 3, pitched as an electric car for the masses. Tesla chief executive Elon Musk showed off the "Model Y" late Thursday, March 14, 2019, at the company's design studio in the southern California city of Hawthorne, and the company began taking orders online. (Photo by Frederic J. BROWN / AFP)
Intelligente Elektromobilität

Einige dieser Umbrüche prägen den Konzern bis heute. Als Michelin Ende der 60er-Jahre den Stahlgürtel-Radialreifen auf den Markt brachte, hatte Conti dem technologisch nichts entgegenzusetzen. Das warf das Unternehmen im Wettbewerb weit zurück.

Mit dem Einstieg in den Markt für Zulieferer-Komponenten in den 90er-Jahren war aus Sicht der Chronik-Autoren das Eingeständnis verbunden, dass man nicht mehr zur globalen „Triade“ der Reifen-Riesen Michelin, Goodyear und Bridgestone aufschließen werde.

„Continental ist ein 150 Jahre altes Start-up-Unternehmen“

Heute steckt der Autozulieferer, der bis in die 90er-Jahre eine reine Gummiprodukte-Firma war, im Wandel hin zu einem softwaregetriebenen Unternehmen. Gerade hat Vorstandschef Nikolai Setzer die Struktur des Konzerns deutlich umgebaut: Reifen, Kautschuk-Spezialprodukte und Auto-Zulieferteile sind nun in drei Sparten getrennt, der Vorstand um zwei Männer verkleinert.

Vom Geschäft mit Verbrennungsmotoren hat sich der Konzern durch die Abspaltung des Tochterunternehmens Vitesco verabschiedet. Um den weiteren Wandel zu bestehen, will Reinhart die Innovationskultur im Unternehmen fördern. „Continental ist ein 150 Jahre altes Start-up-Unternehmen. Wir müssen neugierig sein und Sachen ausprobieren“, sagt sie.

Lesen Sie auch
Lindner, Baerbock, Scholz
Sondierungen

Diese Haltung vermisst die Managerin in der Politik. Und es fehlt ihr eine Vision aus Berlin: „Wir brauchen ein Zielbild für ein digitalisiertes Deutschland im Jahr 2030 und einen praxisnahen Fahrplan, der gemeinsam mit Politik, Unternehmen, Sozialpartnern und Wissenschaft erarbeitet wird. Dann müssen Arbeitspakete verteilt werden, die regelmäßig überprüft werden“, sagte sie.

Aus Sicht von Boes steckt die Politik in der gleichen Situation wie die Unternehmen: „Man macht sich klar, dass wir mit Blick auf den Klimawandel und die Informationsökonomie vor einer radikalen Veränderung stehen, wie wir sie seit 150 Jahren nicht mehr hatten“, sagt er. Das fordere alle bis an ihre Grenzen. „Die kommende Bundesregierung ist die letzte, die noch proaktiv agieren kann in diesen Fragen. Danach werden wir nur noch Getriebene sein.“

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um mit Inhalten von Drittanbietern zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung.

Dekarbonisierung und Digitalisierung hängen aus Sicht des Soziologen eng miteinander zusammen. Besonders deutlich werde das am Beispiel der Mobilität. „Ohne einen Umbau der Mobilität wird der Kampf gegen den Klimawandel nicht zu schaffen sein. Aber um diese Veränderung zu erreichen, brauchen wir die Digitalisierung“, sagte er.

Die Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger über das Internet könne zu einem neuen, besseren System führen. „Ich glaube, dass darin die europäische Antwort liegt auf die Herausforderung von Tesla“, sagte Boes.

Lesen Sie auch
Die Aufspaltung ist ein historischer Schritt und mit hohen Erwartungen verknüpft

Wie alle großen Konzerne in der Autoindustrie versucht auch Continental, sich in diese vernetzte Zukunft zu bewegen. Das Unternehmen bietet unter anderem Software zur Organisation von Fahrzeugflotten an und investiert in Projekte zum autonomen Fahren.

„Die Technologie zur Verknüpfung des Autos wird genauso bedeutsam sein wie die Technik im Fahrzeug selbst“, sagte Reinharts Kollege Frank Petznick voraus, der den Geschäftsbereich Fahrerassistenzsysteme leitet. Diese Lehre aus dem „Tesla-Schock“ haben die Manager in der Industrie schon verinnerlicht.

Auf viele ihrer Kunden dürfte dieser Tesla-Moment noch zukommen, wenn die Fabrik des Unternehmens in Grünheide bei Berlin die Produktion aufnimmt und künftig immer mehr Tesla Model Y auf den Straßen im Land unterwegs sein werden. „Die Bevölkerung wird dann eine Begegnung der dritten Art haben“, sagt Boes voraus. Aus Grünheide könnte ein Innovationsimpuls für ganz Deutschland ausgehen.

Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Wir nutzen den Player des Anbieters Podigee für unsere WELT-Podcasts. Damit Sie den Podcast-Player sehen können und um mit Inhalten aus Podigee und anderen sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung.

„Alles auf Aktien“ ist der tägliche Börsen-Shot aus der WELT-Wirtschaftsredaktion. Jeden Morgen ab 7 Uhr mit unseren Finanzjournalisten. Für Börsenkenner und -einsteiger. Abonnieren Sie den Podcast bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.

Adblock test (Why?)


„Tesla-Schock“: Der deutschen Industrie bleibt nur wenig Zeit - WELT
Read More

No comments:

Post a Comment

adidas-Aktie nachbörslich deutlich tiefer: adidas übertrifft eigene Prognose - Yeezy-Verkäufe sorgen für schwarze Zahlen - finanzen.net

Der Sportartikelkonzern adidas hat im vergangenen Jahr besser abgeschnitten als von ihm zuletzt prognostiziert. Der Nike -Rivale kündigte...