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Thursday, November 11, 2021

EU-Konjunkturprognose: Deutschland wird zum Bremsklotz in Europa - WELT

Die Ökonomen der Europäischen Kommission, die am Donnerstag ihre Konjunkturprognose veröffentlicht haben, blicken trotz der aktuellen vierten Corona-Welle zuversichtlicher in die Zukunft als noch zu Beginn des Sommers: Europas Wirtschaft erholt sich schneller vom Einbruch in der Corona-Krise als sie erwartet haben.

Deshalb korrigieren die Experten ihre Vorhersage für die EU und die Eurozone nach oben. Bisher gingen sie davon aus, dass die Wirtschaft in der Eurozone in diesem Jahr um 4,8 Prozent zulegen wird. Jetzt sollen es fünf Prozent werden. Trotz aller Fragezeichen: „Angesichts der Corona-Pandemie bleiben viele Unsicherheiten“, sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis zu der Prognose.

Die Volkswirtschaften in der EU haben die Corona-Pandemie – bisher – besser überstanden als erwartet. Bereits im Spätsommer hatte die Wirtschaftsleistung in der EU das Vorkrisenniveau erreicht. Seitdem erholt sie sich nicht mehr, sondern expandiert.

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Für Deutschland hatten die Kommissionsexperten denn auch weit weniger gute Nachrichten. Die Kommission rechnet damit, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr lediglich um 2,7 Prozent wachsen wird. Deutschland ist damit das Schlusslicht in der gesamten EU. In Frankreich beispielsweise soll das Plus bei 6,5 Prozent liegen, in Italien bei 6,2 Prozent und in Griechenland bei 7,1 Prozent. Die Wirtschaft in der Eurozone soll insgesamt um fünf Prozent zulegen.

Ausgerechnet die deutsche Volkswirtschaft, die lange Zeit als Wachstumsmotor in der EU galt, droht jetzt zum Bremsklotz für die wirtschaftliche Entwicklung auf dem Kontinent zu werden. Die Leistungsschwäche der deutschen Wirtschaft wird auch in Brüssel sehr aufmerksam beobachtet: „Dass die deutsche Wirtschaft stark wächst, ist wichtig für Deutschland“, sagte EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni zu WELT. „Aber auch Europa braucht starkes Wachstum in Deutschland. Das ist sehr wichtig.“

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Die Probleme dürften anhalten, denn die traditionellen Stärken der deutschen Wirtschaft verkehren sich gerade in das Gegenteil: Die starke Industrie, die internationale Vernetzung, die hoch wettbewerbsfähige Exportwirtschaft – all diese Faktoren, die Deutschland in den zurückliegenden Jahren ein goldenes Jahrzehnt mit Rekordwerten bei Wachstum und Beschäftigung beschert haben, werden jetzt zur Wachstumsbremse.

Versorgungslage könnte sich bald bessern

Die deutschen Unternehmen leiden derzeit wie kaum anderswo in der EU unter den internationalen Versorgungsengpässen. In der Industrie, an der etwas weniger als ein Drittel der Jobs und Exporte hängen, fehlen Rohstoffe, Vorprodukte und andere Materialien. Das gilt ganz besonders für die Automobilindustrie mit ihren weitverzweigten internationalen Wertschöpfungsketten.

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Die deutschen Unternehmen sind in dieser Hinsicht offenbar besonders verletzlich: In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der EU-Kommission unter Industrieunternehmen gaben rund 90 Prozent der deutschen Manager an, dass sie wegen Versorgungsproblemen weniger produzieren können als sie gerne würden. Im produzierenden Gewerbe in Frankreich lag der Wert nur bei 40 Prozent, in Italien gar nur bei 20 Prozent.

Wenn die aktuelle Schwäche der Industrie nur den Versorgungsengpässen geschuldet sein sollte, könnte sich die Situation bereits im Laufe des kommenden Jahres bessern. Die Prognostiker der Kommission erwarten beispielsweise, dass die Versorgungslage sich in den kommenden Monaten bessert. Die deutsche Wirtschaft könnte dann geradezu explosionsartig wachsen, schließlich lägen bei den Unternehmen noch viele Bestellungen, die sie abarbeiten müssten.

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Die Kommission erwartet deshalb einen kräftigen Wachstumsschub, sobald die internationale Versorgung wieder rund läuft. Im Laufe des kommenden Jahres könnten Exporte, Investitionen und Konsum stark anziehen. Die Ökonomen in Brüssel rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft 2022 überdurchschnittlich kräftig um 4,6 Prozent wachsen wird.

„Wall Street Journal“ sieht Paradigmenwechsel

Allerdings: Damit wäre das Wachstum lediglich leicht höher als das in der gesamten Eurozone, die um 4,3 zulegen soll. Und bereits 2023 soll Deutschland zusammen mit den Niederlanden und Schweden wieder das Schlusslicht beim Wachstum sein. Auch der Internationale Währungsfonds IWF erwartet, dass Deutschland 2023 gegenüber anderen EU-Ländern zurückfällt.

Ökonomen warnen denn auch vor strukturellen Problemen in der deutschen Wirtschaft und einer grundsätzlichen Trendwende in der deutschen Erfolgsgeschichte. Die Ära unkomplizierten Außenhandels und rapider Globalisierung läuft ganz offensichtlich aus: Geopolitische Spannungen, Engpässe beim internationalen Transport und der wachsende ökonomische Nationalismus rund um den Globus verändern die Welt, in der sich die exportabhängigen deutschen Unternehmen bewegen.

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Auch andere Entwicklungen zwingen die deutsche Industrie, ihr bisheriges Geschäftsmodell zu überdenken. Chinesische Unternehmen, die bisher zu den besten Kunden deutscher Exporteure gehört haben, sind inzwischen ernstzunehmende Wettbewerber. Und noch ist offen, ob und wie die großen Autohersteller und ihre Arbeitnehmer den Wandel zur Elektromobilität bewältigen.

Auch das US-amerikanische „Wall Street Journal“ diagnostiziert einen Paradigmenwechsel, der sich seit Langem abzeichne. „Die deutsche Wirtschaft schwächelt nicht erst seit der Covid-19-Pandemie“, schrieb das Medium kürzlich. Industrieproduktion und Exporte hätten bereits 2017 begonnen, zu stagnieren und im August sei die deutsche Industrieproduktion neun Prozent niedriger gewesen als 2015 – obwohl sie in der gesamten Eurozone im gleichen Zeitraum um zwei Prozent gestiegen sei.

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