
Ex-Wirecard-Chef Markus Braun
Foto:Michael Dalder/ REUTERS
Der Insolvenzverwalter des Skandalkonzerns Wirecard, Michael Jaffé, erhöht massiv den Druck auf den früheren Chef Markus Braun, auf dessen Kollegen in Vorstand und Aufsichtsrat sowie den Abschlussprüfer EY. Das geht aus Jaffés neuem Sachstandsbericht hervor, der dem SPIEGEL vorliegt.
In dem Bericht führt der Insolvenzverwalter aus, warum aus seiner Sicht Brauns Verteidigungslinie ins Leere läuft und auf welcher Grundlage er von dem Ex-Chef Geld zurückfordern wird. Der Bericht macht allerdings auch deutlich, wie wenig für Gläubiger und Aktionäre am Ende des Verfahrens in einigen Jahren übrig bleiben dürfte. Mittlerweile haben rund 40.000 Gläubiger und Aktionäre Forderungen angemeldet, die sich auf 15,8 Milliarden Euro summieren.
Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Braun unter anderem wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Untreue, unrichtiger Darstellung und Marktmanipulation. Er weist die Vorwürfe zurück. Ermittelt wird auch gegen rund 30 weitere ehemalige Wirecard-Führungkräfte und Personen aus dem Umfeld des Konzerns.
Im Kern geht es um die Frage, ob Geschäfte mit externen Partnerfirmen – sogenannten Third Party Acquirern (TPA) – überhaupt existierten. 1,9 Milliarden Euro aus solchen Geschäften waren vermeintlich auf Treuhandkonten geparkt, zunächst in Singapur, dann auf den Philippinen.
»Damit steht fest: Das TPA-Geschäft hat es nicht gegeben.«
Jaffé hat nun nach einem aufwendigen juristischen Verfahren sämtliche Kontoauszüge der Bank in Singapur, bei der die vermeintlichen Treuhandkonten geführt wurden, erhalten und ausgewertet. Er kommt zu dem Schluss: »Damit steht nunmehr endgültig fest, was sich bereits vorher aus zahlreichen Indizien ergab: Das behauptete und bilanzierte TPA-Geschäft mit Milliardenerträgen hat es bei Wirecard nicht gegeben.«
Vielmehr liege nahe, dass die Singapur-Konten als Spesenkonten geführt wurden. Über die vermeintlichen Treuhandkonten wurden unter anderem Einkäufe beim Spielzeughändler Toys’R’Us getätigt und Tankfüllungen bezahlt. Allein 660 Zahlungen wurden an die Tanzbar Hedgehog in Singapur geleistet, die vom vermeintlichen Treuhänder Rajaratnam Shanmugaratnam betrieben wurde.
Die Frage, ob TPA-Geschäft vorhanden war, ist zentral für die Inanspruchnahme von Vorständen, Aufsichtsräten und Wirtschaftsprüfer. Jaffé hält wegen der Nichtexistenz des TPA-Geschäfts die Jahresabschlüsse 2017 und 2018 für nichtig und hat eine entsprechende Klage eingereicht.
Braun versucht in diesem Verfahren den Vorwurf zu entkräften, es habe das Drittpartnergeschäft nicht gegeben. So argumentiert er auch bei dem Versuch, aus der Untersuchungshaft freizukommen. Seit Sommer 2020 sitzt er in der JVA Augsburg, in Kürze entscheidet das Oberlandesgericht München erneut, ob er gegen Auflagen freikommt.
Klage gegen EY
Jaffé hält Brauns Darstellung für haltlos. Er will den Ex-Chef ebenso in Anspruch nehmen wie möglicherweise seine früheren Vorstandskollegen und Aufsichtsräte. Dafür hat er bereits 1000 Gigabyte Akten ausgewertet, um Anspruchsgrundlagen zu ermitteln. Der höchste Betrag, für den Braun und Co. möglicherweise haften müssen und den Jaffé somit einfordern könnte, ergibt sich daraus, dass Vorstand und Aufsichtsrat noch Auszahlungen in Höhe von Hunderten Millionen Euro bewilligten, nachdem Wirecard faktisch bereits insolvent war.
Dies will Jaffé mit der Nichtigkeitsklage untermauern. Unter anderem gewährten die Gremien in den letzten Jahren Wirecards noch ungesicherte Darlehen in dreistelliger Millionenhöhe an Partnerfirmen wie Goomo, Cleario, Bijlipay und Ocap, gegen die Jaffé ebenfalls Klage eingereicht hat.
Viel Geld dürfte von da nicht mehr kommen, das macht der Insolvenzverwalter in seinem Bericht deutlich. Er hält sich deswegen auch an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die über all die Jahre die Bilanzen Wirecards nicht beanstandet hatte. Jaffé hat einen Wirtschaftsprüfer beauftragt, um zu prüfen, ob EY ihre Pflichten verletzt hat und inwieweit das bewiesen werden kann.
Um EY Fehler nachzuweisen, hat Jaffé am Landgericht Stuttgart Klage eingereicht, um Einsicht in die Prüfungsunterlagen von EY zu bekommen. Am Ende dürfte der Bundesgerichtshof darüber entscheiden. Vor dem Verwaltungsgericht fordert Jaffé auch Einsicht in Akten des Bundesjustizministeriums, der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung.
Abwicklung der Bank bringt 120 Millionen Euro
Während sich diese Auseinandersetzungen noch über Jahre hinziehen dürften, macht der Insolvenzverwalter bei der Abwicklung des Konzerns Fortschritte. Zahlreiche Konzernteile wurden verkauft, zuletzt brachte aber vor allem die Abwicklung der Wirecard Bank Geld für die Insolvenzmasse. Das Kreditportfolio des konzerneigenen Instituts wurde von 72 auf 3,5 Millionen Euro heruntergefahren. Die Finanzaufsicht Bafin gab daher 120 Millionen Euro an Einlagen der Wirecard AG frei, die sie nach der Pleite des Mutterkonzerns eingefroren hatte.
Insgesamt dürfte Jaffé damit mittlerweile mehr als 700 Millionen Euro eingetrieben haben; etwa eine Milliarde Euro könnten es am Ende werden, schätzen Verfahrensbeteiligte. Dem stehen fast 16 Milliarden Euro an Forderungen gegenüber. Ob aber frühere Aktionäre von Wirecard überhaupt Ansprüche im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend machen dürfen, muss noch von Gerichten geklärt werden.
Derzeit streiten Jaffé und die Fondsgesellschaft Union Investment in einem Pilotverfahren um diese Frage. Alle Beteiligten gehen davon aus, dass erst der Bundesgerichtshof in einigen Jahren final darüber entscheiden wird. Fällt das Urteil zugunsten der Aktionäre aus, dürften alle Gläubiger im Zuge des Insolvenzverfahrens wohl bestenfalls zehn Prozent ihrer Verluste erstattet bekommen.
Wirecard: Insolvenzverwalter Michael Jaffé erhöht Druck auf Markus Braun - DER SPIEGEL
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