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Friday, December 3, 2021

5 Prozent Inflation – und was ist mit den Löhnen? - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Inflation beschäftigt längst nicht mehr nur die Finanzmärkte. Wer in diesen Tagen in den Supermarkt geht, ein Restaurant besucht oder zur Tankstelle fährt, spürt die steigenden Preise im eigenen Portemonnaie. Im November stieg die Inflationsrate auf mehr als 5 Prozent, für das Jahr 2021 insgesamt liegen die meisten Prognosen über der 3-Prozent-Marke. Bei Arbeitnehmern und Gewerkschaften könnte das Begehrlichkeiten wecken, die verlorene Kaufkraft zurückzugewinnen.

Svea Junge

Redakteurin in der Wirtschaft.

Ungefährlich ist das nicht. Gelingt es den Gewerkschaften, höhere Löhne und Gehälter durchzusetzen, könnten die Unternehmen ihrerseits darauf mit Preiserhöhungen reagieren, weil ihre Produkte teurer werden und die Beschäftigten mehr Geld zum Ausgeben haben. Dann wäre eine Lohn-Preis-Spirale wie in den Siebzigerjahren in Gang und ein geldpolitisches Gegensteuern der Europäischen Zentralbank (EZB) unumgänglich.

Direkt in die Gehaltsverhandlungen eingreifen kann die EZB nicht, gleichwohl aber über die Leitzinsen Einfluss auf die Inflation nehmen. Noch sehen die Notenbanker keinen Handlungsbedarf. Der Anstieg der Inflation sei nur vorübergehend: Die Inflationstreiber – die hohen Energiepreise, die Lieferengpässe und Sondereffekte wie die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer – würden im nächsten Jahr voraussichtlich wieder nachlassen. Sicher ist das keineswegs. EZB-Chefin Christine Lagarde betonte, man werde aufmerksam auf die Lohnentwicklung und die Inflationserwartungen achten. Einen starken Anstieg der Tariflöhne erwartet sie aber nicht.

Tatsächlich fielen die Lohnrunden in Deutschland wie im übrigen Euroraum bisher eher moderat aus. „Die Tarifabschlüsse in diesem Jahr waren nicht besonders hoch“, sagt Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Der Tariflohnanstieg liege nominal – also ohne Preisbereinigung – bei knapp zwei Prozent. Das reiche nicht einmal, um die Inflation auszugleichen, geschweige denn, um sie anzutreiben.

Keine starken Lohnsignale 2021

Der Großteil der Abschlüsse stammt aus der ersten Jahreshälfte 2021, als die Inflation noch nicht zu ihrem Höhenflug angesetzt hatte. Starke Signale gehen aber auch von den Einigungen im Herbst nicht aus. Für den Einzel-, Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen erreichte die Gewerkschaft Verdi zwar 3 Prozent mehr Geld, doch von April 2022 an sollen die Löhne dann nur noch um 1,7 Prozent steigen, bis der Vertrag im April 2023 ausläuft. Größer fällt da schon das Plus in der Bauindustrie aus. Die IG Bau setzte für ihre rund eine Million Beschäftigten eine schrittweise Lohnerhöhung von insgesamt 6,2 Prozent im Westen und 8,5 Prozent im Osten durch, eine Einmalzahlung gibt es obendrauf. Reichen muss das Geld allerdings bis zum Jahr 2024, erst dann wird neu verhandelt.

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„Der Inflationsanstieg war in diesem Jahr nicht das Topthema in den Verhandlungen“, erklärt Dominik Groll, verantwortlich für Arbeitsmarktanalysen am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Auch bei den zuletzt abgeschlossenen Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes der Länder spielte die Inflation keine große Rolle. Von Dezember 2022 an bekommen die mehr als eine Million Beschäftigten 2,8 Prozent mehr Lohn – plus Einmalzahlung –, bevor in zwei Jahren neu verhandelt wird. Nun aber stünden lange Zeit Verhandlungen in eher kleinen Tarifbereichen an, sagt Groll. „Das ist ein großer Zufall.“ Erst von den in der zweiten Jahreshälfte 2022 beginnenden Tarifgesprächen in der Metall- und Elektroindustrie könne wieder ein starkes Lohnsignal ausgehen.

Wohl spätestens dann wird die Inflation auf der Agenda stehen, wie IG-Metall-Chef Jörg Hofmann schon ankündigte. Auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Reiner Hoffmann sagt, es sei klar, dass Preissteigerungen mittelfristig in die Lohnsteigerungen einfließen müssten. Reallohnverluste bei wachsender Wirtschaft und guten Gewinnen wären schließlich „ungerecht, ökonomisch kontraproduktiv und auch niemandem vermittelbar“. „Insofern ist es selbstverständlich und mehr als berechtigt, wenn Gewerkschaften in Tarifrunden auch auf die derzeit hohe Inflation verweisen und auf einen Ausgleich pochen“, sagt der DGB-Chef.

Lohnpolitik dürfte 2022 „deutlich expansiver werden“

Die Lohnpolitik dürfte daher im nächsten Jahr „deutlich expansiver werden“, erwartet Hagen Lesch, Leiter des Kompetenzfelds Tarifpolitik am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Lange Zeit stand vor allem die individuelle Arbeitszeitgestaltung im Mittelpunkt der Verhandlungen. In Zukunft wird es vor allem wieder um Geld gehen“, prognostiziert er. Der Lohnpolitik komme nun eine große Verantwortung zu. Man müsse keine Horrorszenarien an die Wand malen, doch es bestehe durchaus das Risiko, dass die Löhne die Inflation weiter antreiben. „Dagegen spricht, dass die Gewerkschaften in der Vergangenheit eine sehr verantwortungsvolle Lohnpolitik gemacht haben“, sagt Lesch.

Die Zutaten für eine länger anhaltende hohe Inflation sieht IfW-Arbeitsmarktfachmann Groll ohnehin auf anderen Feldern – zum Beispiel der sehr expansiven Geldpolitik der EZB. „Insofern könnten der aktuelle Inflationsschub und mögliche Rückwirkungen auf die Löhne zwar nicht die Ursache für eine ausufernde Inflation sein, aber der Anstoß, der den Stein ins Rollen bringt.“ In der Regel verhinderten jedoch „natürliche Anpassungsmechanismen“, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale komme, erklärt er.

Grundsätzlich gelte: Steigen die Preise für ein Produkt, sinkt die Nachfrage. Hinzu komme, dass die Unternehmen wegen der Lieferengpässe mit höheren Preisen bei Vorprodukten kämpften und daher Widerstand gegen steigende Lohnkosten leisten würden. Sollten die Löhne dennoch steigen, würden die Unternehmen voraussichtlich Beschäftigung abbauen, das wüssten auch die Gewerkschaften. „All diese Effekte wirken einer Lohn-Preis-Spirale entgegen.“ Sollten sich die Lieferengpässe 2022 jedoch entspannen, könnte das die Position der Gewerkschaften verbessern, gibt IMK-Direktor Dullien zu bedenken. „Um die aufgestauten Aufträge abzuarbeiten, sind die Industrieunternehmen wahrscheinlich eher bereit, den Forderungen nachzugeben und Streiks zu vermeiden.“

Richtet man den Blick über die Tarifwelt hinaus, steigen die Bruttoverdienste insgesamt in diesem Jahr wieder etwas kräftiger. Groll erwartet ein Plus von nominal 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2022 würde der Anstieg dann nach seiner Prognose mit 4 Prozent sogar stärker ausfallen als vor der Corona-Krise, bevor der Zuwachs 2023 auf 3,3 Prozent sinkt. „Hauptgrund für die hohen Raten ist allerdings der Abbau der Kurzarbeit im Zuge der wirtschaftlichen Erholung, was für sich genommen keine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzt“, sagt er.

Schiebt die Mindestlohnerhöhung die Löhne an?

Den Löhnen einen Schub verleihen könnte die von den Ampelparteien im Koalitionsvertrag vereinbarte Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde. Aktuell liegt die Lohnuntergrenze bei 9,60 Euro. Schon die zum Juli 2022 beschlossene Erhöhung des Mindestlohns von dann 9,82 auf 10,45 Euro entspricht einem Anstieg von 6 Prozent. Die Erhöhung auf 12 Euro, wobei noch nicht klar ist, wann sie kommt, entspricht noch einmal einem Sprung um 15 Prozent. Betreffen würde dies laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung rund 8,6 Millionen Arbeitnehmer. Außerdem rechnen die Studienautoren damit, dass die Anhebung des Mindestlohns sich auch auf Löhne, die etwas über 12 Euro liegen, positiv auswirkt.

Wie schon bei der Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 würden Unternehmen mit Preiserhöhungen auf die Anhebung des Mindestlohns reagieren, erwartet Dullien. „Der Effekt dürfte jedoch kontrollierbar bleiben.“ Zwar betreffe die Erhöhung auf 12 Euro rund 20 Prozent der Beschäftigten, allerdings jene, die deutlich unterdurchschnittlich verdienten. „Der gesamtwirtschaftliche Lohneffekt dürfte daher nicht spürbar über einem Prozent liegen“, sagt Dullien.

Allzu große Hoffnungen auf satte Lohnaufschläge sollten sich Arbeitnehmer also nicht machen. „Die Tariflöhne werden nächstes Jahr wieder mehr als 2 Prozent steigen, ihr Vorkrisenniveau erreichen sie aber noch nicht“, prognostiziert Dullien. Das könnte sich in den nächsten Jahren allerdings ändern. „Die Chance besteht, dass sich der Tariflohnanstieg in Zukunft wieder in Richtung 3 Prozent bewegt“, sagt er. Maßgeblich mit dafür verantwortlich wird wohl der Fachkräftemangel werden, der die Unternehmen schon heute beschäftigt. Laut einer aktuellen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages zählt er für 59 Prozent der deutschen Unternehmen zu den größten Geschäftsrisiken.

Allein in diesem Jahr nehme die Zahl der potentiellen Arbeitskräfte durch den demographischen Wandel um fast 150 000 ab, warnte unlängst der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Detlev Scheele. Um die Lücke im Arbeitsmarkt zu schließen, müssten künftig jedes Jahr rund 400 000 Arbeitskräfte einwandern. Doch der Zustrom aus dem Ausland wird zusehends dünner, was die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer verbessert. IfW-Arbeitsmarktfachmann Groll hält deshalb in den nächsten fünf bis zehn Jahren jährliche Lohnsteigerungen zwischen drei und vier Prozent für möglich. Sein Urteil: „Der Fachkräftemangel ist langfristig ein viel wichtigerer Treiber für Lohnsteigerungen als die Inflation.“

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