„Geduld und Loyalität“ beschwor der damalige Henkel-Chef Kaspar Rorsted noch 2015. Damals drückte die Rubelkrise infolge der Krim-Besetzung auf das Geschäft. Henkel werde die Erfahrungen aus den vorherigen Wirtschaftskrisen in Russland nutzen, um die Wachstumschancen auf seinem viertgrößten Markt weiterzunutzen, versprach Rorsted damals stoisch.
Jetzt, sieben Jahre später, reißt Rorsteds Nachfolger Carsten Knobel der Geduldsfaden. Er hat am Dienstag angekündigt, das Russland-Geschäft komplett einzustellen. Der Softwarekonzern SAP schloss sich nur wenige Stunden später an. Die Walldorfer verkündeten den „geordneten Ausstieg aus einem Markt, in dem wir seit mehr als 30 Jahren tätig sind und ein hervorragendes Team aufgebaut haben“. Damit folgen die beiden Dax-Konzerne dem Beispiel von anderen familiendominierten Unternehmen wie Oetker und Tengelmann.
Vor allem Henkel dürfte der Schritt wirtschaftlich schwerfallen. Zu Beginn des Krieges hatte Henkel-Chef Knobel lediglich angekündigt, Werbung und Investitionen zu stoppen. Mit der harten Entscheidung reagiert der Manager auf die mit der Kriegsgräuel zunehmende Kritik. „Wir haben die Entwicklung des Krieges und die Nachrichten aus der Ukraine, das aktuelle Geschäftsumfeld, Entwicklungen der internationalen Sanktionen und entsprechende Rückmeldungen von unseren Kunden, Partnern oder Mitarbeitern in unsere Überlegungen einbezogen“, sagte ein Unternehmenssprecher.
Kurz vor Ostern hatte sich Knobel bereits auf der Hauptversammlung kritische Fragen gefallen lassen müssen. Damals hatte Knobel noch argumentiert, Henkel wolle mit dem Weiterbetrieb einer möglichen Enteignung entgehen.
Leicht getan hat sich der Konzern mit der jüngsten Entscheidung also nicht. Denn der Einschnitt wird heftig: Mit fünf Prozent Umsatzanteil war kaum ein anderer Dax-Konzern im vergangenen Jahr so stark vom Russlandgeschäft abhängig. Das Land galt lange als eines der wichtigsten Wachstumsfelder im Konzern.
Anders als etwa der Konkurrent Beiersdorf verkauft Henkel in dem Land nicht nur importierte Ware. Henkel beschäftigt in Russland in elf Werken 2500 Mitarbeiter, die etwa Heimwerker-Artikel unter der Marke Ceresit herstellen. In den vergangenen Jahren meldete Henkel regelmäßig Investitionen in die Standorte. Allerdings lag die Mitarbeiterzahl nach Unternehmensangaben noch vor wenigen Jahren um 1000 höher.
Wie der Abschied genau ablaufen wird, ist laut dem Sprecher noch offen. Die wahrscheinlichste Variante dürfte die Übertragung an andere Eigentümer sein. So hat Tengelmann zuletzt seine Obi-Baumärkte in dem Land schlichtweg verschenkt. Oetker dagegen hat sein Backmittel-Werk vor wenigen Tagen an das lokale Management übergeben – eine Idee, die für einzelne Standorte und Marken auch in der Düsseldorfer Henkel-Zentrale durchgespielt wird.
Henkel mit Persil, Schwarzkopf und Klebstoff in Russland aktiv
Wie groß die finanziellen Auswirkungen auf Henkel sind, ist noch offen. Der Konzern ist mit allen drei Sparten – also mit Waschmittelmarken wie Persil, Schwarzkopf-Kosmetik und mit Klebstoffen – in Russland aktiv. Die Aktie notierte am Montag bereits gut zwei Prozent schwächer.
Bei SAP ist der Rückzug aus Russland auch eine technische Herausforderung. Schließlich läuft die Software bei vielen Unternehmen im täglichen Einsatz. Kunden, die die SAP-Software klassisch lokal installiert haben, sollen die gekauften Programme weiter nutzen können, erklärte der Konzern. SAP stellt die Wartung allerdings ein.
Unternehmen, die über die Cloud – also über SAP-Datencenter – Programme nutzen, würden dagegen abgeklemmt. Sie können ihre Daten entweder löschen lassen, die Daten auf eigene Datencenter herunterladen oder ins Ausland auslagern. Im letzten Fall will SAP zumindest die laufenden Verträge noch erfüllen. Der Abschied von SAP trifft damit ausgerechnet diejenigen Kunden hart, die die vom Konzern forcierte Umstellung auf die moderne Cloud-Technik mitgemacht haben. SAP hatte für sie bereits Einschränkungen angekündigt.
Andere Konzerne halten trotz der Kritik weiter an ihrem in langen Jahren aufgebauten Russland-Geschäft fest. „Die Entscheidung, die Geschäfte in Russland mit insgesamt 93 Metro-Großhandelsmärkten aufrechtzuerhalten, wurde ausführlich diskutiert und abgewogen, und wir beobachten die weiteren Entwicklungen sehr genau“, teilte der Düsseldorfer Großhändler am Dienstag auf Anfrage mit. Das Unternehmen sehe sich für die 10.000 Mitarbeiter in dem Land in der Verantwortung. Metro kam im vergangenen Geschäftsjahr in Russland auf 2,4 Milliarden Euro Umsatz. Das sind fast zehn Prozent des Gesamtumsatzes.
Auch Dax-Konzerne zögern. Siemens etwa hat bislang nur einen Stopp für Neuaufträge angekündigt. Bayer stoppt nur Werbung und Investitionen. Der Chemiekonzern begründete das kurz vor Ostern mit einer Güterabwägung: „Der Zivilbevölkerung wesentliche Gesundheits- und Landwirtschaftsprodukte vorzuenthalten – wie zur Behandlung von Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gesundheitsprodukte für Schwangere und Kinder sowie Saatgut für den Anbau von Nahrungsmitteln – würde die Zahl an Menschenleben, die dieser Krieg fordert, nur vervielfachen.“ Die Aufsichtsratschefin von Henkel, Simone Bagel-Trah aus der Gründerfamilie Henkel, hat einen Posten im Bayer-Aufsichtsrat.
Bei Henkel muss der Abschied erfahrungsgemäß nicht das letzte Wort bleiben: Henkel hatte 2013, auf dem Höhepunkt des Atomkonflikts, den kompletten Abschied aus dem Iran samt 25 Millionen Euro Abschreibung angekündigt. Nur ein Jahr später beschloss der Konzern, wegen der sich abzeichnenden Einigung mit dem Westen, doch in dem Land zu bleiben. Allerdings gilt solch ein Szenario derzeit in Düsseldorf als höchst unwahrscheinlich.
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Henkel und SAP beenden Russlandgeschäft – es bleiben noch mehr Dax-Konzerne - WELT
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