München Hohe Leistung, niedriger Verbrauch: Mit dieser Gleichung versucht die deutsche Autoindustrie seit fast einer Dekade, teilelektrische Modelle in den Markt zu drücken. Besonders Mercedes-Benz hat das Angebot sogenannter Plug-in-Hybride (PHEV), die sowohl einen Verbrennungsmotor als auch einen elektrischen Antrieb unter der Haube haben, in den vergangenen Jahren enorm ausgeweitet und die Technik verbessert.
Die elektrische Reichweite der Plug-in-Hybride mit Sternenlogo hat sich seit 2014 verdreifacht – von 33 auf aktuell mehr als einhundert Kilometer. Unter der Woche können Nutzer so theoretisch emissionsfrei zur Arbeit surren und am Wochenende bei Bedarf auf der Langstrecke mit dem Verbrennungsmotor in die Berge oder an die See fahren. Diese Flexibilität sei „der große Pluspunkt“, betont Mercedes-Vertriebschefin Britta Seeger.
Die Vorständin lobt die Technik und schickt den neuen GLC – immerhin das meistverkaufte Auto der Schwaben – von September an gleich in drei Plug-in-Varianten zu den Händlern: zweimal als Benziner, einmal als Diesel. Das wirkt, als stünde den Teilzeitstromern noch eine große Zukunft bevor. Doch der Eindruck täuscht.
Während Mercedes offiziell die Vorzüge von Plug-in-Hybriden hervorhebt, streicht der Konzern in seinen internen Plänen das Angebot bereits radikal zusammen. Außer der Neuauflage des GLC werden demnach nur noch die E-Klasse im kommenden Jahr sowie vereinzelte Coupé-Derivate einen Doppelantrieb erhalten. Danach ist Schluss.
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Schon bei der nächsten Generation an Kompaktwagen, die 2024 an den Start gehen, werden Kunden lediglich zwischen vollelektrischen Varianten und Benzinern mit 48-Volt-Technik wählen können, erfuhr das Handelsblatt aus Konzernkreisen. Weder Dieselaggregate noch Plug-in-Versionen sind für Modelle wie CLA oder GLB vorgesehen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.
Einerseits verkauft der Konzern immer mehr reine Elektroautos, für die Einhaltung der Klimaziele sind die Plug-in-Hybride daher bald nicht mehr erforderlich. Andererseits sind die Deckungsbeiträge der teilelektrischen Modelle vergleichsweise gering. Zudem ebbt das Wachstum merklich ab, und die staatlichen Zuschüsse als wichtiger Kauf- und Leasingfaktor stehen vor dem Aus.
Die Subventionen sollen wegfallen
Konkret will der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Förderung für Plug-in-Hybride bereits mit Wirkung zum 31. Dezember 2022 stoppen. Die Technik sei „marktgängig“, benötige also keinerlei Subventionierung mehr, argumentiert Habeck.
Die Industrie hatte sich zwar darauf eingestellt, dass die Prämien für Plug-in-Hybride von derzeit bis zu 6750 Euro vom kommenden Jahr an sinken werden. Mit einer kompletten Streichung des Umweltbonus hatte aber kaum jemand gerechnet. Setzt Habeck seinen Willen durch, ist der Untergang von teilelektrischen Modellen vorgezeichnet, prophezeien Experten.
„Ohne Förderung wird der Absatz massiv zurückgehen. Das kann auch das Ende des Plug-in-Hybriden bedeuten“, erklärt Matthias von Alten, Autoexperte beim Beratungshaus Publicis Sapient. Sobald die staatlichen Zuschüsse wegfallen, würden teilelektrische Fahrzeuge für viele Kunden unattraktiv.
Schon heute sind Plug-in-Hybride in einer Gesamtkostenrechnung, die auch den Wertverlust der Fahrzeuge berücksichtigt, kaum günstiger als Diesel und Benziner, weisen aber eklatante Nachteile auf. „Sie haben nur eine geringe elektrische Reichweite, verbrauchen wegen ihres hohen Gewichts viel Treibstoff und verfügen aufgrund der Batterie über weniger Stauraum als Verbrenner“, erklärt von Alten.
Ziehe man alle Faktoren in Betracht, sei die Zukunft von Plug-in-Hybriden „mehr als fraglich“, konstatiert der ehemalige Leiter der Marken- und Produktstrategie bei VW und BMW. Zumal ein Gutteil der Nachfrage laut von Alten durch die staatlichen Zuschüsse künstlich stimuliert werde.
Auch Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule Bergisch Gladbach, sieht die Technik nahe ihrem Zenit. „Wir werden uns in ein bis zwei Jahren einer Peak-Situation beim Geschäft mit Plug-in-Hybriden nähern“, bekundet der Branchenkenner. Die Fahrzeughersteller müssten sich nun gut überlegen, ob sie künftig überhaupt noch teilelektrische Modelle anböten.
>>Lesen Sie hier, warum Mercedes eine Million Autos zurückruft.
Die jüngsten Verkaufszahlen sprechen klar dagegen. „Der Rückenwind ist weg“, sagt ein Mercedes-Manager. Tatsächlich konnten die Stuttgarter den Absatz von Plug-in-Hybriden im ersten Quartal nur um acht Prozent ausweiten. Zum Vergleich: Die Zuwachsrate bei reinen Elektroautos lag bei Mercedes im gleichen Zeitraum bei stolzen 210 Prozent.
In absoluten Zahlen verkaufen die Schwaben zwar nach wie vor mehr teilelektrische Modelle als ausschließlich mit Strom angetriebene Baureihen. Dieser Vorsprung schmilzt allerdings in rasantem Tempo.
Zur Einordnung: 2021 hat Mercedes mit 228.000 Einheiten noch fast fünfmal so viele Plug-in-Hybride verkauft wie reine Elektrofahrzeuge. Zuletzt waren es freilich nur noch doppelt so viele. Und spätestens 2023 dürfte sich das Verhältnis gänzlich umkehren. Konzernchef Ola Källenius setzt schließlich auf die Devise „Electric only“.
Bei der Volkswagen-Premiumtochter Audi ist dieser Punkt bereits erreicht. Im ersten Quartal haben die Ingolstädter mehr reinrassige Stromer als Plug-in-Hybride produziert. Bei Letzteren ist das Fertigungsvolumen sogar um fast ein Fünftel eingebrochen. Beim bayerischen Rivalen BMW zeigt sich ein ähnliches Bild.
Der Absatz von Plug-in-Hybriden ist bei den Münchenern zuletzt leicht geschrumpft, während jener mit reinen Elektroautos um fast 150 Prozent zulegte. Auch bei den absoluten Verkaufszahlen dürften die Teilzeitstromer bei BMW bald ins Hintertreffen geraten. Im Gesamtmarkt ist dies ohnehin bereits der Fall.
In der Europäischen Union wurden von Anfang Januar bis Ende März rund 224.000 Elektroautos verkauft. Das entspricht einem Zuwachs von 53 Prozent. Gleichzeitig sackte der Absatz von Plug-in-Hybriden um gut fünf Prozent ab, auf 199.000 Fahrzeuge. Das ist insofern bemerkenswert, als sich die Auslieferungen von teilelektrischen Modellen in den beiden Jahren zuvor noch nahezu im Gleichschritt mit den kompromisslosen Stromfabrikaten entwickelt hatten.
Nun klafft erstmals eine eklatante Lücke zwischen den Antrieben. Fällt die Prämie von 2023 an im Leitmarkt Deutschland weg, könnte daraus ein tiefer Krater werden. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) ist entsprechend alarmiert. „Die Überlegungen, die Förderung für Plug-in-Hybride auslaufen zu lassen, gefährden den Hochlauf der Elektromobilität“, warnt VDA-Präsidentin Hildegard Müller.
Solange die Ladeinfrastruktur in der Bundesrepublik nur unzureichend ausgebaut sei, brauche es teilelektrische Modelle zur „Vertrauensbildung“ bei der Stromwende. „Reichweitenangst bei Langstreckenfahrten gibt es hier nicht“, erklärt Müller. Statistisch gesehen legen die Deutschen mit ihren Autos allerdings pro Tag selten mehr als 40 Kilometer zurück. Fast drei Viertel aller Pkws hierzulande werden nicht einmal binnen einer Woche mehr als 100 Kilometer bewegt.
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Hinzu kommt: Plug-in-Hybride haben ein eklatantes Imageproblem, da sie oft nur im „unökologischen Verbrennermodus gefahren werden“, erklärt Publicis-Berater Matthias von Alten. Grob 80 Prozent der Fahrzeuge würden nahezu nie geladen. Folglich liegen die realen Verbrauchswerte der teilelektrischen Modelle laut Fraunhofer ISI und ICCT bis zu viermal höher als in den Testzyklen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Plug-in-Hybride werden deutlich häufiger geleast als gekauft. Bei einer Haltedauer von lediglich zwei bis drei Jahren lässt sich der größere CO2-Rucksack, den teilelektrische Modelle nach der Produktion aufgrund der zusätzlichen Batterie mitschleppen, aber selbst im dauerhaften Strombetrieb keineswegs gänzlich abbauen.
„Auch gebrauchte Plug-in-Hybride werden es extrem schwer haben“, konstatiert von Alten. Der langjährige Branchenbeobachter geht davon aus, dass die Restwerte der Teilzeitstromer überproportional fallen werden. Denn Anbieter wie Mercedes entwickeln die Technik nicht mehr weiter und fokussieren sich lieber auf Innovationen bei reinen Elektroautos. „Somit schlummern in den Bilanzen mancher Leasinganbieter große Risiken.“
Wie schlecht es um die Zukunft der Plug-in-Hybride steht, zeigt nicht zuletzt eine Kehrtwende bei ZF Friedrichshafen. Der süddeutsche Autozulieferer hatte sein weltgrößtes Getriebewerk in Saarbrücken mit 9000 Beschäftigten stark auf das Geschäft mit teilelektrischen Modellen ausgelegt. Die erhofften Stückzahlen mit Hybridgetrieben für Kunden wie BMW bleiben nun aber offenkundig aus.
Der Konzern reagiert und will die Fabrik zügig mit Bauteilen für reine Elektroautos bestücken. „Wir befinden uns in Gesprächen über die Produktion von hochwertigen Elektrokomponenten in unserem Getriebewerk im Saarland“, kündigte ZF-Vorstandschef Wolf-Henning Scheider vergangene Woche an.
Was daraus folgt, bringt CAM-Direktor Stefan Bratzel auf den Punkt: „Die Industrie lässt die Plug-in-Hybride auslaufen.“ Wobei den Stecker zweifelsfrei Wirtschaftsminister Habeck ziehen dürfte.
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