Krieg in der Ukraine, Lieferkettenprobleme, Corona-Lockdowns, Chip-Knappheit - und dennoch: Die deutsche Autoindustrie fährt Rekordgewinne ein. Wie ist das möglich? Ganz einfach.
Politik und Wirtschaft in Deutschland stehen landauf, landab im Zeichen der Zeitenwende. Erst die politisch gewollte De-Carbonisierung von Industrie und Verkehr, dann der Ukraine-Krieg und das Menetekel eines drohenden und schmerzhaften Energieausfalls haben den politisch gewollten Transformationsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft auf die Spitze getrieben. In der Politik vollzieht sich die Transformation mit "Wumms" durch den Regierungswechsel und mit dem Abschiedsprogramm liebgewonnener Illusionen der letzten Jahrzehnte. In der Wirtschaft vollzieht sie sich mit Murren und Wehklagen ob der hohen Vorleistungskosten für Investitionen in die Klimaneutralität. Sie ist notwendig, verhagelt aber der Buchhaltung die Ertragsrechnung.
Nur die Automobilindustrie schweigt still. Obwohl diese Branche unter dem Zwang zur Vermeidung klimaschädlicher fossiler Emissionen doch am meisten leiden müsste. Sollte man meinen. Bedeutet Zeitenwende hier doch ein völliges Umkrempeln ihres 100-jährigen erfolgreichen Geschäftsmodells: weg vom Benzin- oder Diesel-Verbrenner, hin zum Batterie-Elektroantrieb samt computergesteuertem und zum Teil bereits selbstfahrendem Hightech-Wohlfühl-Vehikel.
All das vollzieht sich in dieser Schlüsselbranche der deutschen Industrie ohne Proteste, fast lautlos und kaum wahrnehmbar. Selbst als die EU-Umweltminister über verschärfte Emissionsgrenzwerte de facto das Verbrenner-Aus für 2035 beschließen, gibt es keinen Aufschrei seitens der deutschen Autohersteller, Zulieferer - oder der Branchenverbände VDA und ACEA.
Welche wundersame Entwicklung!
Was ist geschehen, dass gerade die Erfinder des Verbrennermotors, an der Spitze Mercedes-Benz, die über all die Jahre seit Einführung der Euro-Abgasnomen im Jahr 1970 immer mit dem Fuß auf der Bremse standen, diese "kalte Enteignung" ihrer Geschäftsgrundlage einfach so hinnehmen? Zumal aktuell die Hersteller zusätzlich stark gebeutelt sind durch Lieferausfälle wegen des Ukraine-Kriegs (Stichwort: Kabelbaum), stetig wiederkehrende Produktionsunterbrechungen wegen anhaltender Knappheit an Speicherchips oder diverser Corona-Lockdowns im wichtigsten Absatzmarkt China.
Aus weniger wurde mehr
Die Begründung für die Gelassenheit ist einfach: Bei all diesen misslichen Rahmendaten ist die Geschäftsentwicklung exzellent. Zwar sinken Produktion und Absatz, die Gewinne sind aber meist auf neue Höchststände gestiegen.
Ein solches Geschäftsbild hat es in der deutschen Autoindustrie seit den 1950ern noch nicht gegeben. Immer waren alle Unternehmensziele darauf aus, um jeden Preis in der Menge zu wachsen und die Gewinne über immer üppigere Ausstattungsvarianten sowie höherpreisige Modelle zu steigern. Und wo das nicht ausreichte, wurden kollektiv die Preise angehoben.
Die Hersteller verfolgen heute eine andere Strategie: Sie schrumpfen. Sie haben erfahren, dass man mit einem knappen Angebot und längeren Liefer- und Kunden-Wartezeiten erheblich bessere Geschäfte machen kann als mit hohem finanziellen Aufwand und imageschädlichen Rabattschlachten.
Im Gegenteil: Die Knappheitssituation bei Rohstoffen sowie exorbitante Verteuerung von Vormaterialien bietet ihnen unverhofft Spielräume für zusätzliche Preisanhebungen. Ganz so, wie es die Lehrbücher über Marktwirtschaft vorsehen.
Aus der über Jahrzehnte gültigen US-amerikanischen Wachstumsstrategie wurde die Schrumpfungsstrategie von heute. Egal, ob der von der Politik verordnete Schwenk hin zur Batterie-Elektromobilität, die Produktionsausfälle durch Corona Lockdowns, die Rohstoff- und Zulieferengpässe mit rapide steigenden Vormaterialpreisen von teilwiese bis zu 600 Prozent - all das wird zum Anlass für Preiserhöhungen genommen. Alle Hersteller, ohne Ausnahme!
Von der "Modell-Triage" zu "mehr Reibach mit dem Maybach"
Knappes Verbrennerangebot, teure Elektroautos sowie auf breiter Front Mangel an Speicherchips und Material bot allen Herstellern Anlass, die Modellportfolios kritisch zu überprüfen und nach Gewinnmargen zu optimieren. Alle strebten danach, ihr Modellangebot nach oben in die höherpreisigen Segmente zu verschieben und die unteren Modellklassen im margenschwachen Massenmarkt auszudünnen oder gänzlich aufzugeben. Selbst beim Mercedes-Konzern will Chef Ole Källenius in Zukunft nur noch Autos der Luxusklasse bauen lassen. A- und B-Klasse werden eingestellt.
Heraus kommt quasi eine "Modell-Triage" nach der Zielvorgabe: Die Ertragsschwachen "ins Kröpfchen", die Ertragsstarken "ins Töpfchen". Mit Erfolg praktiziert, wie die Quartalsergebnisse seit Mitte 2021 bestätigen. Oder wie es die "Süddeutsche Zeitung" formulierte: "Mehr Reibach durch Maybach."
Alle Autohersteller, auch die Importeure, haben ihre Preise deutlich angehoben - einige mehrfach. Da mögen die jüngsten Teuerungsraten bei Dacia von 7 bis 13 Prozent zwar nicht so sehr ins statistische Gewicht fallen, periodische Preisanhebungen im VW -Konzern um jeweils bis zu 5 Prozent seit Anfang 2021 aber schon.
Und die Folgen sind …
Höhere Preise ebenso wie die Ausdünnung des Modellangebots haben fatale stabilitätspolitische wie gesellschaftliche und soziale Folgen: Einerseits hatten und haben Preiserhöhungen in der Autobranche Signalwirkung für die Wirtschaft - wenn in den Wirtschaftswunder-1950er-Jahren Volkswagen die Käfer-Preise senkte, wurde darüber tagelang ausführlich berichtet. Heute regt sich über steigende Autopreise niemand mehr auf. Auch weil die Hersteller trickreich die Preise nicht wie früher für die gesamte Palette, sondern nur für einzelne Modelle selektiv anheben. Und das auch nicht prozentual, sondern variabel nach Ausstattungs-Varianten in absoluten Euro-Beträgen.
Steigende Autopreise befeuern ohne Zweifel Inflation und Inflationserwartungen. Die Autohaltung in Summe hat mit einem Anteil von etwa zwölf Prozent am Preisindex der Lebenshaltung einen hohen Einfluss auf den Anstieg der Inflationsrate.
Nächster Preisschock Anfang 2023?
Sobald die preisdämpfenden Effekte der heutigen Kaufsubvention bei Elektroautos am Jahresende wegfallen und bei den Verbrennern die EURO-7-Abgasnomen greifen, die nach Aussagen von VW auch bei Kleinwagen mit 3000bis 5000 Euro zu Buche schlagen, wird individuelle Automobilität in Deutschland sich nochmals sprunghaft verteuern. Und wird absehbar nicht mehr für jeden Privatkunden erschwinglich sein.
Die Pkw-Nachfrage bei allen Antriebsarten wird strukturell sinken, der Autoverkehr weniger werden. Der Pkw-Bestand in Deutschland dürfte demnach in 2022 seinen Zenit überschritten haben.
Umweltpolitik und Verfechter eines nicht-motorisierten Individualverkehrs dürften diese Entwicklung freudig begrüßen.
Die große Luxus-Diät: Autoindustrie betreibt Modell-Triage - n-tv NACHRICHTEN
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