Was ist das: Es sieht aus wie ein Flugzeugrumpf, scheint auf dem Boden aufzuliegen und war in seinen besten Tagen 362 km/h schnell? Antwort: der ARVW, also unabgekürzt der »Aerodynamic Research Volkswagen«. Das Forschungsauto von VW entstand in den späten Siebzigerjahren als Folge der vorangegangenen Ölkrise. Die Kraftstoffpreise waren empfindlich gestiegen, die Autohersteller experimentierten mit allerlei Spritspartechniken. Als besonders vielversprechender Ansatz galt, die Autos windschlüpfiger zu machen.
Auch bei VW in Wolfsburg beschäftigten sich die Ingenieure mit diesem Thema. Und um »detaillierten Aufschluss über die Zusammenhänge von der Aerodynamik eines Automobils und dessen Kraftstoffverbrauch« zu erhalten, entstand der ARVW. Das Aerodynamik-Forschungsauto wurde auch »Fialas Zigarre« genannt, wie der SPIEGEL im November 1980 berichtete. Ernst Fiala war damals VW-Vorstand für Forschung und Entwicklung, das seltsame Gefährt fiel also in seinen Verantwortungsbereich.
Bis heute ist der ARVW wohl eines der aerodynamisch am radikalsten optimierten Fahrzeuge überhaupt. Über einen Aluminiumrahmen spannt sich eine fünf Meter lange, 1,10 Meter breite und lediglich 83 Zentimeter hohe Kunststoffkarosserie, deren höchster Punkt eine Plexiglaskuppel ist. Darunter findet ein Mensch gerade so Platz, um das Fahrzeug zu steuern. Räder sind nicht zu erkennen, sie sind verkleidet. Der Unterboden ist glatt, ebenso gibt es kaum Fugen auf dem sichtbaren Teil der Karosserie. Am Bug sollen zwei Flügel und am Heck zwei kleine Leitwerke das Gefährt bei hohen Geschwindigkeiten stabilisieren.
Das Resultat der strömungsfixierten Feinarbeit war eine Stirnfläche von 0,91 Quadratmetern und ein cW-Wert von 0,15. Zum Vergleich: Der aktuelle VW Golf verfügt über eine Stirnfläche von 2,21 Quadratmetern und einen cW-Wert von 0,27. Im Verbund mit einem 2,4-Liter-Sechszylinder-Turbodieselmotor, der direkt hinter dem Fahrersitz angeordnet war, ermöglichte die extrem windschnittige Form des ARVW erstaunliche Fahrleistungen.
Als Höchstgeschwindigkeit erreichte das lediglich 800 Kilo schwere Fahrzeug 362 km/h. Und wie die Messungen der VW-Techniker ergaben, lag der Durchschnittsverbrauch bei diesem Tempo bei vergleichsweise moderaten 13,2 Liter je 100 Kilometer. Kurzum: Der ARVW bestätigte, was alle schon zuvor geahnt hatten. Nämlich, dass aerodynamische Akribie den Kraftstoffverbrauch massiv senken kann. Allerdings beeinflusst sie auch die Optik eines Fahrzeugs und damit auch dessen Alltagstauglichkeit so sehr, dass ein derartig windschlüpfiges Auto praktisch unverkäuflich wäre.
VW nutzte den ARVW daher vor allem, um technologische Kompetenz zu demonstrieren. Unter anderem dadurch, dass Formel-1-Fahrer Keke Rosberg am Steuer des Wagens im Oktober 1980 auf dem Hochgeschwindigkeitskurs im süditalienischen Nardo zwei Weltrekorde aufstellte. Über 500 Kilometer Distanz erreichte der ARVW eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 345,25 km/h; und während einer Stunde Fahrt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 353,41 km/h. Beide Bestmarken sind bis heute unübertroffen.
Offenbar war damals geplant, noch weitere Rekorde einzufahren, doch dies gelang nicht. Als Grund dafür wurde kolportiert, dass die zehn Zentimeter breite Antriebskette, die als Kraftübertragung von Motor und Getriebe zur Hinterachse eingebaut war, einer Belastung über längere Distanzen und längere Fahrzeiten nicht gewachsen sei. Heute gehört das silberfarbene Auto zu den auffälligsten Ausstellungsstücken der Stiftung Automuseum Volkswagen in Wolfsburg.
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Mit zunehmender Verbreitung der E-Mobilität hat das Thema Aerodynamik erneut an Bedeutung gewonnen. Mercedes etwa präsentierte zuletzt das besonders windschlüpfige Konzeptauto EQXX und fuhr mit dem Auto mehr als tausend Kilometer mit nur einer Akkuladung. Der cW-Wert war mit 0,17 zwar beachtlich, an den Fabelwert des ARVW (0,15) jedoch kam die Hightech-Elektroflunder nicht heran.
Schönes Ding: ARVW: Der Pfeil von Wolfsburg - DER SPIEGEL
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