Der Discount-Broker wollte die Finanzwelt «demokratisieren». Stattdessen verharmlost er Risiken, beugt Regeln, verkauft heikle Informationen und verbucht Verluste. Nun folgt eine Entlassungswelle auf die nächste. Die Aktie ist abgestürzt.
Wenn jemand das Blaue vom Himmel verspricht, ist Vorsicht angebracht. Das gilt nicht nur für die Welt der angeblichen «Krypto-Renditewunder», sondern auch für scheinbar innovative Wertpapier-Broker wie Robinhood. Dessen Gründer mögen vor sieben Jahren mit dem vollmundigen Versprechen angetreten sein, den Wertpapierhandel «zu demokratisieren» und das Rad mit einer angeblich einfach bedienbaren, supergünstigen App zugunsten der «kleinen Privatanleger» praktisch neu zu erfinden. Diese Träume sind längst geplatzt.
Nach verschiedenen Skandalen und aufgrund der Turbulenzen an den Finanzmärkten wächst Robinhood nicht mehr, sondern schreibt wegen zu hoher Kosten sowie der Selbstbedienung des Managements über teure Vergütungsmodelle tiefrote Zahlen – und muss sogar um sein Geschäftsmodell bangen. Tatsächlich ist Robinhood vieles, nur nicht demokratisch. Der Broker ködert vor allem junge, trendige Leute mit der Aussicht auf die Gutschrift einer Gratisaktie, mit dem provisionsfreien Wertpapierhandel ohne Mindestanforderungen, mit kleinen Stückelungen, mit der schlichten und einfach bedienbaren Software-Oberfläche und mit einem rudimentären Informationsangebot.
Hat er sie erst einmal an der Angel, hält er sie ständig auf Trab und verführt sie dazu, neunmal mehr mit Wertpapieren zu handeln als die Kunden vergleichbarer Anbieter – um den eigenen Umsatz zu maximieren. Schliesslich verdient er sein Geld vor allem damit, Informationen über die Handelsaufträge seiner hyperaktiven Schar von Privatkunden an die «Paten der Wall Street» zu verkaufen. Damit sind private Marktmacher wie etwa Citadel Securities, Susquehanna International oder auch Virtu Financial gemeint, die bisher im Hintergrund geschickt die Fäden zogen und mit dem gelieferten Wissen Milliarden verdienen.
Längst diskutiert die amerikanische Aufsichtsbehörde SEC intensiv darüber, den Verkauf der Informationen zu verbieten – damit würde Robinhoods Geschäftsmodell automatisch infrage gestellt. Viele Beobachter rechnen im weiteren Verlauf des Geschehens mit der Übernahme durch einen Konkurrenten. Aber noch wehrt sich der Gründer Vlad Tenev dagegen, indem er massiv die Kosten senkt. So hat er am Dienstag zunächst bekanntgegeben, im zweiten Quartal einen weiteren herben Verlust in Höhe von 295 Millionen Dollar bei einem Umsatzminus von 44 Prozent auf magere 318 Millionen Dollar und bei einem Rückgang der monatlich aktiven Nutzer um 35 Prozent eingefahren zu haben.
Mehr als 1000 Arbeitsplätze verloren
Daraufhin verkündete Robinhood, knapp ein Viertel aller Angestellten zu entlassen, nachdem schon im Frühjahr 9 Prozent der damaligen Jobs abgebaut worden waren. Alles in allem gingen im Rahmen der beiden Entlassungsrunden mehr als 1000 Arbeitsplätze im Unternehmen verloren.
«Im vergangenen Jahr noch hatten wir viele unserer operativen Funktionen unter der Annahme besetzt, dass sich das verstärkte Engagement der Privatkunden an den Aktien- und Krypto-Märkten aus der Covid-Ära ins Jahr 2022 übertragen lassen würde», argumentierte Tenev in der Mitteilung. «Nun müssen wir uns an das neue Umfeld anpassen – und dafür übernehme ich die Verantwortung.»
Busse von 30 Millionen Dollar
Aber es sind nicht nur die Eintrübung des makroökonomischen Umfelds, die Inflation, der Absturz des Krypto-Markts sowie die geringere Handelsaktivität der Kunden und die abnehmenden Kundenvermögen, die das Unternehmen in Verbindung mit dem potenziellen Verbot des Verkaufs von Daten in die Defensive bringen. Am Dienstag brummte ihm das New York State Department of Financial Services eine Geldstrafe in Höhe von 30 Millionen Dollar auf wegen «erheblicher Verstösse gegen Geldwäscherichtlinien, gegen die Cybersicherheit und den Kundenschutz» aufgrund der Praktiken innerhalb der Krypto-Sparte des Unternehmens. Das dürfte dazu beigetragen haben, dass der Chief Product Officer Aparna Chennapragada das Unternehmen verlassen wird und dass zwei Standorte geschlossen werden.
Natürlich haben die schwache operative Entwicklung und die allgemeine Skepsis hinsichtlich der Zukunft des Geschäftsmodells auch Spuren an der Börse hinterlassen. Dort waren die Aktien von Robinhood vor einem Jahr zunächst mit enormer Euphorie begrüsst worden. Aber nach anfänglichen Kursgewinnen von mehr als 100 Prozent ging es aufgrund anhaltender Verluste nur noch nach unten – und inzwischen haben die Papiere rund 90 Prozent ihres einmal erreichten Spitzenwertes verloren.
Was für ein Unterschied zur euphorischen Vergangenheit, als Robinhood dank seiner benutzerfreundlichen, spielerisch anmutenden, auf Mobiltelefone ausgerichteten Online-Brokerage-Plattform vor allem auch in Zeiten der Pandemie einen phänomenalen Boom im Wertpapierhandel mit Privatanlegern auslöste. Noch vor einem Jahr verzeichnete das Unternehmen mit etwas mehr als 21 Millionen aktiven monatlichen Nutzern sein bestes Quartal, weil die Kunden die App in Massen nutzten, um mit auffälligen Meme-Aktien, Optionen und Kryptowährungen zu handeln.
Bei Robinhood muss ein Viertel aller Mitarbeitenden gehen - Neue Zürcher Zeitung - NZZ
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