Hohe Energiepreise treiben die Inflation im Euroraum. Die Rate lag im August im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 9,1 Prozent, wie das EU-Statistikamt Eurostat in Luxemburg aufgrund einer Schnellschätzung mitteilte. Seit Einführung des Euro war der Preisauftrieb nie höher. Der bisherige Inflationsrekord in der Eurozone war erst im Juli mit 8,9 Prozent im Jahresvergleich aufgestellt worden.
Energie verteuerte sich binnen Jahresfrist um 38,3 Prozent. Im Juli lag die Zuwachsrate allerdings noch bei 39,6 Prozent. Für Lebensmittel, Alkohol und Tabak mussten die Verbraucher einen Kostenanstieg von 10,6 Prozent verkraften, nach 9,8 Prozent im Juli. Industriegüter ohne Energie verteuerten sich um fünf Prozent, gegenüber 4,5 Prozent im Juli. Auch bei Dienstleistungen nahm der Preisauftrieb zu – auf 3,8 von 3,7 Prozent im Juli.
Außenhandel sorgt sich um schwachem Euro
Mit dem neuerlichen Inflationsschub dürfte ein weiterer kräftiger Zinsschritt der Europäischen Zentralbank (EZB) auf der Sitzung in der kommenden Woche immer wahrscheinlicher werden. Denn sie verfehlt ihr Inflationsziel von zwei Prozent weiterhin deutlich. Auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel macht sich für eine spürbare Zinsanhebung stark. Die Geldpolitik müsse entschlossen reagieren, um die Glaubwürdigkeit des Inflationsziels zu bewahren. Mit der geldpolitischen Wende im Juli hat die EZB den Leitzins im Juli um einen halben Prozentpunkt von 0 auf 0,5 Prozent erhöht.
Auch die deutschen Groß- und Außenhändler setzen auf einen weiteren Zinsschritt der EZB. Denn die Unternehmer blicken mit Sorge auf den schwächelnden Euro. »Wir haben wenig davon auf der Exportseite«, sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura. In der Theorie könnten Firmen in Deutschland bei einem schwachen Euro ihre Waren günstiger ins Ausland verkaufen. »Dort sind eigentlich die Effekte relativ gering«, sagte Jandura zum Export. »Aber wir spüren es dramatisch auf der Importseite.« Das bereite ihm Sorge. Er sei daher für einen stabilen Euro.
Die Gemeinschaftswährung ist aktuell etwa genauso viel wert wie der Dollar, nachdem der Kurs zu Jahresbeginn noch bei 1,13 Dollar lag. Dadurch werden deutsche Waren in Übersee preislich attraktiver. Allerdings verteuern sich durch die Abwertung auch viele Importe, etwa von Öl, was die Inflation weiter befeuert.
Der BGA befürwortet daher, dass die EZB ihren Leitzins stärker anhebt und so den Euro attraktiver für Anleger macht, wodurch die Talfahrt gestoppt werden könnte. »Einen beherzten Zinsschritt – da wäre ich sehr dafür«, sagte Jandura. »Das kann die letzte Möglichkeit sein, überhaupt noch Zinsen zu erhöhen und damit etwas gegen die Inflation zu tun«, sagte Jandura angesichts der Gefahr, dass steigende Zinskosten eine Rezession verstärken dürften und die EZB von Erhöhungen abhalten könnte.
Importpreise steigen weiter – vor allem für Energie
Dem DIHK zufolge bleibt die deutsche Wirtschaft auf Milliardenkosten durch stark gestiegene Import- und Erzeugerpreise sitzen, die sie nicht vollumfänglich an ihre ausländischen Abnehmer weiterreichen können. »Die daraus resultierende Belastung für die deutsche Außenwirtschaft beträgt allein für das erste halbe Jahr 70 Milliarden Euro«, sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, der Nachrichtenagentur Reuters. »Die deutsche Außenwirtschaft befindet sich in einer extremen Kostenklemme, aus der sie sich auch in den nächsten Monaten nicht wird befreien können«, sagte Treier.
Wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, sind zugleich die Importpreise im Juli weiter stark gestiegen – vor allem für Energie. Der Einfuhrpreis für Erdgas war im Juli dreimal so hoch wie vor einem Jahr, wie die Statistikbehörde am Mittwoch mitteilte. Importstrom war demnach fast viermal so teuer. Der Strompreis ist in der EU an den Gaspreis gekoppelt.
Die Energieeinfuhren Deutschlands insgesamt verteuerten sich binnen Jahresfrist um fast 132 Prozent und um 6,2 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Steinkohle war 261 Prozent teurer als im Juli vor einem Jahr und 14,4 Prozent teurer als im Juni. Der Preis für Erdöl stieg um 64,7 Prozent im Vorjahresvergleich – sank jedoch im Vergleich zum Vormonat um 5,6 Prozent.
Erhebliche Preissteigerungen gab es auch bei Düngemitteln und Stickstoffverbindungen aus dem Ausland – diese sogenannten Vorleistungsgüter waren im Juli rund 142 Prozent teurer. Nahrungsmittel verteuerten sich um fast 24 Prozent, vor allem für Milch und Milcherzeugnisse, Öle und Fette sowie Fleisch mussten Importeure deutlich mehr zahlen als im Juli 2021.
Insgesamt legten die Importpreise um knapp 29 Prozent zu. Ohne Berücksichtigung der Energiepreise lag der Preisanstieg bei 14 Prozent. Auf der anderen Seite stiegen auch die Exportpreise – mit 17 Prozent war die Vorjahresveränderung die größte seit Oktober 1974 während der ersten Ölkrise.
Forscher sagen Rezession in Deutschland voraus
Angesichts der anhaltenden Teuerung und der damit verbundenen Probleme steuert die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung des Berliner Forschungsinstituts DIW voraussichtlich auf eine Rezession zu. Für das dritte Quartal sei mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu rechnen, teilte das Institut mit.
»Leider wird es immer wahrscheinlicher, dass wir eine Rezession bei gleichzeitig hoher Inflation durchmachen werden«, sagte DIW-Konjunkturexperte Guido Baldi. Zudem blieben die Risiken abwärtsgerichtet. Die Energiekrise zwinge bereits jetzt viele Gasanbieter, neue Verträge abzuschließen und die Preise massiv zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund bleibe auch die Teuerung hoch.
Viele Menschen sind bereits inflationsbereinigt mit deutlichen Lohneinbußen konfrontiert. Darüber hinaus belastet laut DIW die abkühlende Weltkonjunktur die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Die größten Auswirkungen zeigen sich demnach immer noch in der Industrie. Der Krieg in der Ukraine, die Schwäche der globalen Konjunktur und die daraus resultierende Unsicherheit mindern laut DIW Auftragseingänge auf der einen und hemmen Materiallieferungen und Produktionsabläufe auf der anderen Seite. Darüber hinaus wachsen die Sorgen um die Energieversorgung.
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