Die Freude bei BMW war groß über die sogenannte „business licence“ in China. Am 11. Februar gestattete die Regierung in Peking dem Münchner Autohersteller, die Mehrheit an seinem chinesischen Gemeinschaftsunternehmen mit Brilliance (BBA) zu übernehmen. „Der heutige Tag markiert einen wichtigen Schritt, um unser langes und erfolgreiches Engagement in China kontinuierlich auszubauen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse damals.
Zwei Wochen später hatte sich die geopolitische Situation völlig verändert. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine geht die Angst um angesichts der Abhängigkeit vieler deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will das China-Geschäft deutscher Unternehmen bremsen und fordert öffentlich einen härteren Umgang mit dem autoritären Regime der Volksrepublik. Und der deutsche Autohersteller Opel, so wirkte es zumindest, hat den Forderungen direkt Folge geleistet und seine Expansionspläne nach China vor einigen Tagen öffentlichkeitswirksam abgeblasen. Die Begründung: Nicht zuletzt die politische Situation in China.
Sind Habecks Forderungen und Opels Kehrtwende nun die Vorboten einer großen Abkehr von China? Im Gegenteil, wie eine aktuelle Umfrage der F.A.Z. unter Deutschlands führenden Auto-Konzernen zeigt. Die großen Hersteller und ihre Zulieferer setzen weiter voll auf China und lassen Habeck auflaufen. Ob Volkswagen, BMW oder Mercedes oder Zulieferer wie Bosch, ZF, Schaeffler oder Continental: Sie alle wollen ihre Geschäfte in China nicht nur ungestört fortführen, sondern gar ausbauen. Keiner deutet auch nur an, dass er sich zurückziehen will.
„Die Naivität gegenüber China ist vorbei“, verkündete Habeck vor wenigen Tagen nach einem Treffen der G7-Handelsminister in Brandenburg. Er habe sich mit seinen Amtskollegen auf eine „robustere Handelspolitik“ verständigt. Die Grünen hatten entsprechende Kursänderungen schon in ihrem Programm für die Bundestagswahl 2021 angekündigt. Im Koalitionsvertrag mit SPD und FDP wurde dann festgelegt, „strategische Abhängigkeiten zu reduzieren“ und Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren, besonders in Xinjiang, wo China die Minderheit der Uiguren unterdrückt. Der VW-Konzern betreibt in der Region mit seinem Partner SAIC ein Werk. Damit setzen sich die Wolfsburger seit Jahren immer stärkerer Kritik aus.
VW ist Europas größter Einzelinvestor
Doch der Konzern, dessen neuer Chef Oliver Blume für seine Treue zum Xinjiang-Werk gerade erst von den chinesischen Staatsmedien gelobt wurde, keilt nun zurück. Auf die immer lauter werdende Kritik an China angesprochen, antwortet Volkswagen, dass man „die Diskussion innerhalb der Bundesregierung“ verfolge. Statt auf Habecks Forderungen geht Volkswagen lieber darauf ein, dass Bundeskanzler Olaf Scholz wiederholt unterstrichen habe, „dass Decoupling (Entkopplung) oder Deglobalisierung die falschen Antworten auf die jüngsten Krisen“ seien. „Den Ansatz des Bundeskanzlers unterstützt der Volkswagen-Konzern“, teilt das Unternehmen mit. Über den Ansatz des Wirtschaftsministers oder den der Bundesregierung hüllt sich Volkswagen in vielsagendes Schweigen.
Denn klar ist: Die Äußerungen Habecks kommen der Autoindustrie gar nicht gelegen, da sie nicht nur einen hohen Teil ihrer Umsätze in China erwirtschaftet (s. Grafik), sondern weiterhin viel Geld im Reich der Mitte investiert. Zusammen mit dem Chemiekonzern BASF stehen die drei großen deutschen Hersteller VW, BMW und Mercedes für mehr als ein Drittel aller europäischen Direktinvestitionen, die zwischen 2018 und 2021 in China getätigt wurden. Das hat die auf wirtschaftliche und politische Analysen spezialisierte Rhodium-Gruppe kürzlich berechnet. Und der VW-Konzern rangierte regelmäßig als größter Einzelinvestor an der Spitze aller europäischen Unternehmen.
Auf die Differenzen innerhalb der Bundesregierung gehen auch Mercedes und BMW in ihren Antworten auf die F.A.Z.-Umfrage nicht ein. Doch auf welcher Seite sie stehen, ist klar: München verweist auf seine „lange und erfolgreiche Geschichte in China“ und darauf, dass in der globalen Strategie „alle wesentlichen Regionen ihre Rolle“ spielten. Das chinesische Gemeinschaftsunternehmen mit Brilliance, das BMW nun in die Bilanz übernehmen und damit sein Finanzergebnis um 7,7 Milliarden Euro steigern kann, bilde „die Basis für nachhaltigen unternehmerischen Erfolg.“ Der Vertrag wurde bsi zum Jahr 2040 verlängert.
In Stuttgart mahnt man in Richtung Berlin, die „Devise zur Sicherung von Wohlstand und Frieden“ laute „konstruktive Zusammenarbeit“. Wie die Beziehungen zu China aussähen, habe weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft Deutschlands, Europas und der Weltwirtschaft im Ganzen, findet Mercedes. China sei der weltgrößte Markt für Elektroautos und habe „großen Anteil am weltweiten Luxusmarkt“, der weiter zunehme, betont man in Stuttgart, die Analyse in Wolfsburg klingt ganz ähnlich. Die Zusammenarbeit mit China sichere Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland und den Zugang zu Forschung und Innovationen, heißt es von Mercedes weiter. Für BMW wiederum ist China der zweitgrößte Entwicklungsstandort nach Deutschland.
Soll-Bruchstellen für den Knall
Die Antworten der Zulieferer fallen etwas defensiver aus, von Rückzug spricht aber auch in der zweiten Reihe niemand. Bosch und ZF, der größte und der drittgrößte Autozulieferer der Welt, verweisen auf ihre lange Geschichte in China, wo Bosch „bereits seit 1909 aktiv“ ist und 55.000 Mitarbeiter beschäftigt. Der Stuttgarter Stiftungskonzern gibt an, in allen Märkten eine langfristige Strategie zu verfolgen. Der chinesische Markt werde weiterhin eine hohe wirtschaftliche Bedeutung haben. ZF ist nach eigenen Angaben „seit rund 40 Jahren in China vertreten“, das Land steht nach Konzernangaben für etwa 18 Prozent des Umsatzes. Das sei „unterhalb des Durchschnitts unserer Kunden (Fahrzeughersteller) und großer Wettbewerber“. Deshalb sieht der Stiftungskonzern, der von der Stadt Friedrichshafen kontrolliert wird, „eher Potential Wachstum“. Continental aus Hannover, nach manchen Zählweisen die Nummer vier der Welt, hält sich bedeckt, betont aber auch, dass China „der weltweit größte Automobilmarkt“ sei, der „natürlich für die globale Autoindustrie eine hohe Bedeutung“ habe. Und der fränkische Zulieferer Schaeffler teilt mit, China sei eine Region, „die für uns aufgrund der Größe des Marktes und der Wachstumsaussichten von großer Bedeutung ist“.
Die Marschrichtung ist klar: Der Fokus auf China bleibt, von Rückzug keine Spur. Dafür ändert sich die Strategie vor Ort, wie auch in der Analyse von Rhodium deutlich wird. Viele betrieben eine „interne Abkopplung“ ihrer Präsenz im Land von Geschäften im Rest der Welt und verfolgten eine „China für China“-Strategie, um Risiken zu reduzieren. So richten sich laut der Umfrage etwa auch Schaeffler, Mercedes oder VW aus. Man könnte es Soll-Bruchstellen nennen, die die Konzerne bilden für den Fall, dass es zum geopolitischen Knall kommt. Setzt sich Habeck mit seinem Ansatz durch, wären die Auswirkungen an den Industriestandorten überall in Deutschland groß. Ob Wolfsburg, Stuttgart oder München, ob am Bodensee, in Franken oder in Niedersachsen – die chinesische Abhängigkeit ist riesig und Anzeichen, dass sie kleiner wird, gibt es kaum.
China-Strategie: Autoindustrie lässt Habeck auflaufen - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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