Wer vor fünf Jahren gefragt hätte, welches die größten Bedrohungen für die drei Kernsparten der Versicherungswirtschaft sind, hätte folgende Antwort erhalten: der Niedrigzins für die Lebensversicherung, die digitale Disruption für die Schadenversicherung und die Bürgerversicherung für private Krankenpolicen. Nichts davon hat die Branche umgeworfen. Sie erfreut sich nach einem wirtschaftlich herausfordernden Jahr im Schatten des Kriegs wieder wachsenden Zuspruchs. Doch die Risiken haben sich längst gewandelt. Es gilt deshalb, wachsam zu bleiben.
Am einfachsten ist die Ausgangssituation in der Krankenversicherung: Solange FDP und irgendwann einmal die Union mitregieren, wird es anderen Partnern nicht gelingen, den Dualismus aus gesetzlicher und privater Gesundheitsfinanzierung abzuschaffen. Zu groß sind verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Kollektivierung der Alterungsrückstellungen, zu schwer wiegen für Bürgerliche die Wettbewerbsvorteile zweier Systeme und der Nutzen eines privaten Angebots. Mehr als einen überschaubaren Marktanteil von 10 Prozent sollte die Assekuranz aber nicht erwarten.
Bessere Renditen mit alternativen Anlagen
Diffiziler ist die Lage in der Lebensversicherung. Durch die lange Niedrigzinsphase sind die Anbieter mithilfe einer besonnenen Aufsicht ohne Blessuren gekommen. Nun aber fällt ein jahrelanger Wettbewerbsvorteil weg: Mit den immer weiter fallenden Zinsen stiegen die Bewertungsreserven; und die Branche verfügte trotz fallender Erträge über Mittel, die Konkurrenten am Finanzmarkt fehlten. Die Verzinsung war lange Zeit besser als im Markt. Das spülte Lebensversicherern Geld in die Kasse. Sie durften es wegen aufsichtsrechtlicher Restriktionen zwar nicht allzu großzügig ausschütten, aber auf die Kunden wirkten sie attraktiv.
Das hat sich mit der Zinswende schlagartig geändert. Alternative Anlageprodukte können mit der kurzfristigen Neuanlage bessere Renditen ausweisen als die Versicherer mit ihren laufenden Durchschnittsverzinsungen, die sich über lange Zeit kaum ändern. Damit verschiebt sich das Gewicht in der Altersvorsorge.
Die Bedeutung der Branche schwindet aber noch aus einem anderen Grund: Das Kompromisspapier der Berliner Fokusgruppe private Altersvorsorge beendet die privilegierte Rolle der Versicherer in der staatlich geförderten Altersvorsorge. Im Riester-System waren sie in jeden Vertrag involviert, weil es eine Pflicht zur monatlichen lebenslangen Rente gab. Die soll nach dem Willen der vom FDP-Finanzministerium geführten Gruppe abgeschafft werden. Und noch ein weiteres Privileg fällt: die Verpflichtung der Anbieter, zu Beginn der Ruhestandsphase mindestens jeden eingezahlten Beitrag auszahlen zu können. Beide Pflichten kamen dem Geschäftsmodell der Branche entgegen. Nun haben Fondsgesellschaften deutlich mehr Zugriff auf die Kunden.
Ausgeblieben ist die Disruption in der Schadenversicherung. Weder Amazon noch Google sind bislang selbst mit Nachdruck als Risikoträger in den Markt gedrängt. Die jungen Insurtech-Start-ups erwiesen sich als innovative Modernisierer der Branche, ohne das Geschäftsmodell gänzlich infrage zu stellen. Darauf haben sich die etablierten Häuser besser eingestellt als Banken: Einige Neue haben sie als Partner gewonnen, andere schluckten sie, wieder andere erwiesen sich als zu schwach, um im Wettbewerb zu bestehen.
Die digitale Gründungswelle hat in der Branche neue Dynamik entfacht. Allianz, Ergo, Axa und Co mussten große IT-Projekte ausrollen, durch die sie Kundenwünsche schneller bedienen können. Begriffe wie Kundenreise (Customer Journey) und Kundenzentrierung (Customer Centricity) waberten durch die Gänge. Manchmal wurde das dahinterliegende Versprechen auch eingehalten, insgesamt ist die Assekuranz aber noch zu konservativ, wenn es um frische Ideen geht.
Hunderttausende Vermittler
Die Bedrohungen von vor fünf Jahren sind nicht eingetreten, aber was stattdessen kam, belegt die Schwerfälligkeit der Branche. Auf den Paradigmenwechsel in der Altersvorsorge hat sie keine andere Antwort, als leicht beleidigt auf ihre Alleinstellungsmerkmale Garantie und Leibrente zu verweisen. Wenn er Kunden davon überzeugt, wird der Vertrieb hier Schaden abwenden können. Er ist seit jeher das echte Pfund der Branche.
Noch immer Hunderttausende Vermittler bringen Produkte an die Kunden. Diese Vermittler bei Laune zu halten wird eine wichtige Aufgabe sein, denn auch hier beginnt die Politik Fragen zu stellen: Warum eigentlich sollten für standardisierte Produkte höhere Abschlusskosten anfallen als in der Fondsbranche?
Versicherer stehen vor Herausforderungen: Was Kunden nun wissen müssen - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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