Riesige Bewertungsgewinne, hohe Schulden und ein Immobilienmarkt, der oft von Herdentrieb statt von finanzieller Vernunft geprägt war: Was René Benkos Signa-Gruppe erfolgreich machte, könnte sie jetzt zu Fall bringen. Der Selfmade-Milliardär ist kein Einzelfall.
Es ist wenige Jahre her, dass der Name René Benko Ehrfurcht erweckte. Als er im Februar 2020 mit thailändischen Geschäftspartnern die Warenhauskette Globus mitsamt Immobilien übernahm, schwärmte die verkaufende Migros-Gruppe in einer Medienmitteilung von den «hervorragenden Referenzen» und der «Expertise» der neuen Eigentümerschaft.
Natürlich wusste man um die wenig transparenten Geschäftspraktiken des heute 46-Jährigen, seine Probleme mit der Justiz und seinen kostspieligen Lebensstil. Aber der Erfolg schien dem Selfmade-Milliardär recht zu geben.
Benko und seinen Geschäftspartnern gelang über die Jahre immer wieder Erstaunliches: Er nahm zu niedrigen Zinsen viel Fremdkapital auf, um Warenhäuser, Luxusimmobilien und Bürogebäude an guter Lage zu kaufen. Wenn der Immobilienbewerter Ende Jahr das Portfolio neu einschätzte, resultierte jedes Mal ein beachtlicher Aufwertungsgewinn. Die immer weiter sinkenden Zinsen blähten die Bewertungen auf. Zuletzt im Jahr 2021, als das Portfolio von Benkos Immobiliengesellschaft Signa Prime auf dem Papier um 1 Mrd. € an Wert zulegte.
Die jährlichen Neubewertungen sind eine buchhalterische Grösse, sie dienen dazu, Transparenz über den Wert des Immobilienvermögens zu schaffen. Aber für Benko zählte nur eines: Dank den Aufwertungsgewinnen stieg sein Eigenkapital, was es ihm ermöglichte, bei gleichbleibender Schuldenquote zusätzliches Fremdkapital aufzunehmen und weitere Immobilien zu akquirieren. Prominente Investoren versorgten das rasant wachsende Unternehmen mit zusätzlichem Eigenkapital und liessen mit ihrem guten Ruf Benkos eigenes Ansehen wachsen. So machte er aus Signa die grösste privat gehaltene Immobiliengesellschaft Europas.
Signas Immobilien verlieren plötzlich an Wert
Doch so rasant Benkos Portfolio an Wert zugelegt hatte, so rasch verflüchtigte sich der Erfolg, als die Zinsen ab Anfang 2022 zu steigen begannen. Aus dem vergangene Woche veröffentlichten Konzernabschluss geht hervor, dass der Immobilienbestand von Signa Prime im Geschäftsjahr 2022 um 1,2 Mrd. € an Wert verloren hat. Vor allem die Um- und Neubauprojekte mussten stark abgewertet werden.
Benko, der Aufwertungskönig, kämpft um sein unternehmerisches Überleben. Seine Mitinvestoren wollen ihn kaltstellen, die Europäische Zentralbank sitzt seinen Banken im Nacken. Stephan Kloess, ein Berater von institutionellen Immobilieninvestoren, sagt, Benkos Situation sei so, «wie wenn jemand über die Eisfläche läuft, und einer rennt mit dem Bunsenbrenner hinter ihm her. Die Frage ist, ob er schneller läuft, als das Eis schmilzt.»
Benko ist mit seiner Signa aber nur der bekannteste Aufwertungskönig der Tiefzinsära, der in Schieflage geraten ist. Die Signa-Holding ist ein Extrembeispiel dafür, was am deutschen Immobilienmarkt während Jahren gang und gäbe war: Investoren verschuldeten sich günstig, kauften Immobilien und nutzten die Aufwertungsgewinne, um noch mehr Kredit aufzunehmen, um noch mehr Immobilien zu erwerben, die wiederum in Aufwertungsgewinnen mündeten. Es war eine Zeit, als der Herdentrieb oft stärker war als die finanzielle Vernunft.
In Deutschland sind Immobiliengesellschaften von Vonovia über LEG bis TAG Immobilien mit einem Wertverfall ihres Immobilienportfolios und steigenden Refinanzierungskosten konfrontiert. Jeder günstige Kredit, der ausläuft, muss durch einen viel teureren ersetzt werden. Steigende Baukosten verteuern Sanierungen und Neubauten, was die Situation zusätzlich verschärft.
Vonovia, der grösste kotierte Immobilienkonzern Europas, kündigte im Mai an, Wohnungen im Wert von über einer halben Milliarde Euro zu verkaufen. Laut dem Immobilienexperten Kloess geht man in Deutschland insgesamt von einem weiteren Abwertungspotenzial von 10 bis 15% aus.
Ein Schweizer Unternehmen im perfekten Sturm
Im selben Fahrwasser befindet sich auch die Schweizer Immobiliengesellschaft Peach Property. Die kotierte Firma kaufte ab 2011 Zehntausende Mietwohnungen in weniger attraktiven Städten wie Dortmund, Kaiserslautern oder Marl. Das Wachstum war rasant. Der Aktienkurs stieg über die Jahre um mehrere 100% an. Doch auch das Geschäftsmodell von «Peach», wie man die Firma in der Branche nennt, basierte auf günstigen Krediten und raschen Aufwertungsgewinnen, die sich zwischen 2015 und 2022 auf über 700 Mio. Fr. beliefen.
Die Zinswende könnte sich für das Unternehmen zum perfekten Sturm entwickeln: Im ersten Halbjahr 2023 rutschte Peach in die roten Zahlen und musste über 90 Mio. Fr. an Wert abschreiben. Beobachter gehen davon aus, dass dem Unternehmen weitere Bewertungsverluste bevorstehen. Gleichzeitig muss die Firma ab November 2025 erhebliche Teile ihres Fremdkapitals refinanzieren. Die grosse Frage ist, ob die wachsende Zinslast für Peach Property langfristig verkraftbar ist.
Marc Meili, Immobilienanalytiker bei Independent Credit View (I-CV), sagt, das Problem von Peach Property sei, dass die Firma relativ spät in den deutschen Wohnimmobilienmarkt gekommen sei. «Der Markt lief damals schon auf Hochtouren. Attraktive Objekte an guten Lagen waren bereits sehr teuer.» Peach sei deshalb auf B- und C-Lagen ausgewichen und habe für viel Geld unter anderem Plattenbauten gekauft, die sonst keinen Abnehmer gefunden hätten. Die aggressiven Aufwertungen der Folgejahre hätten nun dazu geführt, dass in der Bewertung des Portfolios im Wert von 2,5 Mrd. € sehr viel Luft drin sei. Gleichzeitig kämpfe das Unternehmen mit einem im Vergleich zur Konkurrenz hohen Leerstand.
Die schwierige Lage des Unternehmens äusserte sich bei Peach Property auch personell: Der Gründer und langjährige CEO Thomas Wolfensberger hat die Gesellschaft im Frühling verlassen, der bisherige Verwaltungsratspräsident Reto Garzetti nahm im Oktober aufgrund «unterschiedlicher Ansätze» bei der Unternehmensstrategie den Hut.
Der neue exekutive Verwaltungsratspräsident zeigt sich kämpferisch: «Wir sind finanziell solide aufgestellt und haben keine grosse Fälligkeit in den nächsten zwei Jahren», sagt Klaus Schmitz, der gleichzeitig einräumt, dass die Marktsituation herausfordernd sei. Ein Vorteil von Peach sei, dass die Firma ausschliesslich am Wohnungsmarkt tätig sei, wo die Nachfrage im Vergleich mit dem Segment der Gewerbeimmobilien ungebrochen hoch und das Angebot knapp sei. Das Unternehmen habe immer noch viel Potenzial, um die Mieten zu steigern.
Die Schweiz ist von einer Krise weit entfernt
Wenn man sich die Entwicklungen um Benkos Signa-Gruppe und Peach Property anschaut, wirkt die Schweiz wie eine Insel der Glückseligen. Obwohl auch hierzulande grosse Immobiliengesellschaften nach Jahren der Aufwertungsgewinne Bewertungsverluste ausweisen müssen, ist das Land von dramatischen Preiskorrekturen verschont geblieben. Investis, eines der wenigen Unternehmen, die laut dem I-CV-Analytiker Meili in der Tiefzinsära relativ aggressiv aufwerteten, stiess im vergangenen Jahr einen grossen Teil seines Portfolios ab und steht jetzt solide da.
Das ungestüme Preiswachstum bei Wohnimmobilien hat sich zwar auch in der Schweiz verlangsamt, in gewissen Regionen ist es auch zu Korrekturen gekommen. Doch die Zinsen sind vergleichsweise tief, die Nachfrage aufgrund der Zuwanderung hoch, die Regeln für Immobilienkredite strenger. Hiesige Investoren seien zudem konservativer finanziert als ihre deutschen Pendants, sagt der Experte Kloess. Der Boom ist auch in der Schweiz vorbei, doch von deutschen Verhältnissen ist der Markt weit entfernt.
Fall Benko: Der Absturz der Aufwertungskönige am Immobilienmarkt - Neue Zürcher Zeitung - NZZ
Read More
No comments:
Post a Comment