Die amerikanischen Behörden haben zugestimmt: Die erste Gentherapie mit der Genschere CRISPR darf in den USA eingesetzt werden. Ein Meilenstein, sagen Experten. Und das könnte erst der Anfang sein.
Im Jahr 2020 gab es den Nobelpreis für die Entdeckung, jetzt wurde in den USA das erste entsprechende Medikament zugelassen: Die CRISPR/Cas9-Genschere ist ein Werkzeug, das es ermöglicht, recht präzise und einfach Gene zu verändern. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat jetzt zugestimmt, dass diese Genschere das erste Mal als Therapie eingesetzt wird. Vor kurzem hatten auch die britischen Behörden das Verfahren zur Behandlung von zwei Bluterkrankungen zugelassen.
Fehlerhaftes Hämoglobin führt zu Organschäden
Das Ziel der neuartigen Therapie ist die Heilung der Sichelzellanämie. Menschen mit dieser Bluterkrankung bilden fehlerhaftes Hämoglobin. Das ist ein wichtiger Bestandteil der roten Blutzellen: Er sorgt nicht nur für die rote Farbe, sondern ist auch dafür zuständig, dass Sauerstoff von der Lunge zu den Organen transportiert wird.
Normalerweise sind diese roten Blutzellen rund und biegsam. So passen sie auch durch sehr enge Blutgefäße. Das ist bei der Sichelzellanämie anders, erklärt Andreas Kulozik, Direktor des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg. Er leitet auch die Abteilung für kindliche Krebserkrankungen und schwere Bluterkrankungen am Uniklinikum in Heidelberg. "Aufgrund einer genetischen Veränderung sind die Zellen sichelförmig und starr. In den kleinen Blutgefäßchen können sie daher stecken bleiben und verursachen kleine Infarkte." Das passiere jeden Tag.
Verbreitung der Sichelzellanämie
Die Sichelzellkrankheit ist eine der weltweit häufigsten Erbkrankheiten und die häufigste Bluterkrankung auf der Welt. Derzeit leben in Deutschland etwa 3.000 bis 5.000 Menschen mit einer Sichelzellkrankheit. Einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge werden weltweit jährlich mehr als 300.000 Kinder mit der Sichelzellkrankheit geboren. Die Sichelzellanämie betrifft vorwiegend Menschen aus Zentral- und Westafrika. Durch Migration ist die Sichelzellkrankheit mittlerweile weltweit verbreitet. So sind heute auch viele Menschen aus Teilen des Mittelmeerraums, des Nahen Ostens bis Indien und Nordamerika betroffen. Seit den 1960er-Jahren ist die Sichelzellkrankheit auch in Nordeuropa (z.B. Deutschland, Österreich, Frankreich, England, Niederlande, Belgien und Skandinavien) verbreitet.
Starke Schmerzen und geringe Lebenserwartung
Betroffene leiden dadurch immer wieder unter sogenannten Schmerzkrisen. "Die Patienten beschreiben uns das wie Zahnschmerzen am ganzen Körper", sagt Kulozik. Doch auch, wenn die Schmerzen nicht so stark ausfielen, habe die Erkrankung langfristige Folgen. "Die Organe werden immer wieder nur mangelhaft mit Sauerstoff versorgt. Das führt auf Dauer zu Schäden, zum Beispiel an der Niere, der Lunge, dem Herzen oder auch den Knochen." Betroffene hätten im Schnitt deshalb nur eine Lebenserwartung von knapp über 40 Jahren.
Schwer betroffene Patientinnen und Patienten erhielten immer wieder Bluttransfusionen. Die jetzt in den USA und Großbritannien zugelassene Gentherapie erweitert die Therapiemöglichkeiten.
Meilenstein in der Gentherapie
Das Besondere: Das erste Mal wird hier die Genschere CRISPR/Cas eingesetzt. Damit ist das nicht einfach eine weitere Gentherapie, die auf den Markt kommt, sagt Toni Cathomen, Professor für Zell- und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg: "Ich würde es schon als Meilenstein betrachten!" Denn mit CRISPR könne man ganz gezielt ins Erbgut eingreifen: "Das ist mit bisherigen Gentherapien so nicht möglich. Da hingen wir immer etwas vom Zufall ab, wo das therapeutische Gen ins Erbgut eingebaut wird."
Mit der Genschere CRISPR/Cas könne man hoffentlich viel gezielter eine therapeutische Wirkung erzielen. Im Fall der Sichelzellanämie soll der Körper nach der Behandlung wieder in Lage sein, funktionsfähiges Hämoglobin herzustellen. Dafür werden den Patienten dafür blutbildende Stammzellen entnommen und im Labor mit der CRISPR-Genschere behandelt.
Baby-Hämoglobin wird wieder aktiviert
Dabei nutzt man aus, dass der menschliche Körper nicht nur eine Art von Hämoglobin herstellen kann: Vor der Geburt bilden Babys nämlich eine andere Version, das sogenannte fetale Hämoglobin. Dessen Gene sind nicht betroffen von den Gendefekten, die zu den schweren Erkrankungen führen. Aber sie werden nach der Geburt nach und nach ruhiggestellt, die Gene für den fetalen Blutfarbstoff werden nicht mehr abgelesen - normalerweise.
Denn bei der jetzt zugelassenen Gentherapie werden die verantwortlichen Hemmstoffe zerstört: Danach können auch Erwachsene die Gene für das Hämoglobin der Ungeborenen ablesen, sie stellen wieder funktionsfähige, rote Blutzellen her. Allerdings müssen vorher ihre körpereigenen Blutstammzellen zerstört werden. Das geschieht durch eine Chemotherapie. Erst dann können die veränderten Zellen übertragen werden.
Noch viele Unsicherheiten
Der Aufwand für die Patienten und Patientinnen ist also hoch. Und noch kann man auch nicht ausschließen, dass die CRISPR-Genschere Nebeneffekte hat, die man bisher noch nicht kennt. Denn in den Zulassungsstudien wurden die Probandinnen und Probanden bisher nur über vier Jahre nachbeobachtet. "Das ist relativ kurz", erklärt Toni Cathomen von der Uniklinik Freiburg. "Doch in diesen vier Jahren hat man keine schweren Nebenwirkungen beobachtet. Das ist erfreulich."
Wichtig sei es nun, genau zu beobachten, was für Nebenwirkungen in den nächsten fünf bis 15 Jahren auftreten. Bei anderen Therapien habe es Fälle gegeben, in denen eine Leukämie durch die genetische Behandlung ausgelöst wurde. Ob das auch bei der neuen CRISPR-Therapie auftreten kann, müsse man abwarten, so Toni Cathomen. Bisher gebe es keine Anzeichen darauf.
Zwei Millionen Euro pro Patient
Neben den medizinischen Fragen, werden jedoch auch die Kosten der Behandlung diskutiert werden. Mit zwei Millionen Euro müsse man für die Behandlung von einem Patienten rechnen, schätzen Fachleute. Doch die Hoffnungen in die neue Therapie sind groß - denn die bisher veröffentlichten Daten fallen sehr positiv aus. "Ungefähr 95 Prozent der Patienten, die so behandelt wurden, hatten im Untersuchungszeitraum keine Schmerzkrisen mehr", erklärt Andreas Kulozik von der Uniklinik Heidelberg. "Das ist für die Patienten eine wunderbare Nachricht." Ob durch diese Therapie auch das Fortschreiten der chronischen Organschäden verhindert werden könne, müsse man aber noch abwarten.
Auch der Gentherapieexperte Toni Cathomen schaut zuversichtlich auf CRISPR-Gentherapien: Er gehe davon aus, dass noch im kommenden Jahr weitere, wirksame CRISPR-Medikamente zugelassen würden. Und das nur rund zehn Jahre, nachdem die Genschere das erste Mal beschrieben wurde. "Das Tempo, in dem diese Entwicklung vonstatten gegangen ist, war schon atemberaubend." Noch hat die europäische Gesundheitsbehörde EMA nicht entschieden, ob die Gentherapie gegen die Sichelzellanämie, auch auf dem europäischen Markt zugelassen wird. Aufgrund der positiven Studienergebnisse sind Fachleute hier aber durchaus optimistisch.
Erste Therapie mit Genschere in den USA zugelassen - tagesschau.de
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