Düsseldorf Der angeschlagene Reisekonzern Tui hat sich durch den Verkauf einer Hotelbeteiligung an den eigenen Großaktionär Riu am Donnerstag rund 540 Millionen Euro Liquidität gesichert. Weitere 130 Millionen Euro könnten von der spanischen Hotelfamilie hinzukommen, falls die veräußerten 21 Immobilien in den kommenden zwei Jahren einen unerwarteten Gewinn verzeichnen. Im besten Fall winkt Tui ein Buchgewinn von 237 Millionen Euro.
Doch anders als üblich ließ Konzernchef Fritz Joussen die Gelegenheit ungenutzt verstreichen, die Meldung mit einer eigenen Durchhalteparole zu verzieren. Statt seiner kam lediglich Strategievorstand Peter Krüger zu Wort, der im Anschluss an den Deal eine „starke Erholung des Geschäfts im nächsten Jahr“ versprach.
Joussens Zurückhaltung könnte zwei Gründe haben. Der eine von ihnen: Die Investmentbank Jefferies rechnete vor, dass die Einnahmen gerade einmal ausreichen, um der mit fast sieben Milliarden Euro verschuldeten Tui für zwei Monate Luft zu verschaffen.
Die Rechnung dürfte aufgehen. Der enorme Cash-Verbrauch des Reisekonzerns, der wegen Corona immer noch rund zwei Drittel seiner 411 Hotels geschlossen hält und das Kreuzfahrtgeschäft erst langsam wieder hochfährt, ließ sich zuletzt in den Konzernveröffentlichungen fast live nachverfolgen. Am 7. Mai meldete Tui eine Liquidität von 1,7 Milliarden Euro – und lag damit gerade einmal 0,1 Milliarden höher als sechs Wochen zuvor, obwohl man sich in der Zwischenzeit 0,4 Milliarden Euro über eine Wandelschuldverschreibung besorgt hatte.
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Der zweite Grund für Joussens Schweigen mag ein Persönlicher sein. Laut einer Pflichtmitteilung verkaufte der 58-jährige Vorstandsvorsitzende am 18. Mai eigene Tui-Aktien im Wert von 300.000 Euro, einen Tag später trennte er sich von weiteren für 500.000 Euro.
Den Glauben an steigende Aktienkurse für den Hannoveraner Konzern, so zumindest könnten viele den Verkauf deuten, scheint der Konzernherr verloren zu haben. Bei einem Kurs von knapp über fünf Euro verabschiedete er sich von den Papieren.
Aus Sicht von Börsenexperten ein nachvollziehbarer Schritt. Jefferies-Analystin Rebecca Lane hält ein Kursziel von 90 Cent für realistisch und rät zum Verkauf. Die Experten von NordLB, UBS und DZ Bank sehen das genauso.
Schlimmer noch: Längst sind die Papiere des einst weltgrößten Reisekonzerns zum Spielball von Leerverkäufern geworden. Mindestens 4,1 Prozent der Tui-Aktien unterliegen inzwischen einer Wette darauf, dass die Kurse weiter fallen. Der Anteil könnte in Wahrheit sogar noch deutlich höher sein, weil leer verkaufte Aktienpakete erst ab 0,5 Prozent des Gesamtvolumens gemeldet werden müssen.
Unter den Leerverkäufern befinden sich prominente Namen, wie World-Quant, BNP Paribas oder Melqart, die jeweils zwischen 0,5 und 0,7 Prozent der Tui-Aktien ihren Wetten unterzogen haben. Der Finanzriese Blackrock hat sogar Bezugsrechte für ein 1,1 Prozent schweres Tui-Paket in der Hoffnung verkauft, die Aktien nach Ablauf der vereinbarten Lieferfrist an der Börse günstiger als jetzt erwerben zu können.
Erinnerung an Air Berlin
Der Verkauf der 49-prozentigen Beteiligung an den Riu-Immobilien, mit dem Tui nach eigenem Bekunden „gebundenes Kapital“ freizusetzen wünscht, erinnert Börsenexperten zudem an ähnliche Deals, mit denen die damals angeschlagene Fluggesellschaft Air Berlin eine Zahlungsunfähigkeit abzuwenden plante. 2012 verkaufte die strauchelnde Airline ihr Vielfliegerprogramm mehrheitlich an den arabischen Großaktionär Etihad. Air Berlin allerdings retteten die eingenommenen 184 Millionen Euro am Ende nicht.
Für Tui ist es zudem nicht der erste Teilverkauf an einen Großaktionär. Schon Ende März veräußerten die Hannoveraner die verbliebenen zehn Prozent ihrer Landesgesellschaft Tui Russia an deren Haupteigentümer Mordaschow, der dafür rund zwölf Millionen Dollar überwies.
Die russische Oligarchenfamilie ist gleichzeitig mit 31 Prozent größter Anteilseigner der Tui AG.
Insbesondere die Hotels, aber auch die schon im Juli 2020 zur Hälfte verkauften Hapag-Lloyd-Kreuzfahrtschiffe galten im Konzern vor Corona als die hauptsächlichen Ertragsgaranten. Ohne sie wird es für Tui nach der Krise deutlich schweren, ausreichend Gewinn zu erzielen – zumal die hohe Schuldenlast jährlich rund 200 Millionen Euro Zinsen kosten wird, wie Joussen vor wenigen Tagen bekundete.
Den Zeitpunkt für den neuerlichen Räumungsverkauf aber hat der Reiseveranstalter gut gewählt. Um von deutschen Pauschalreisekunden weiterhin Anzahlungen kassieren zu können, wird sich Tui spätestens ab November über den derzeit in Gründung befindlichen Reisesicherungsfonds absichern müssen.
Zutritt in letzter Minute?
Tui steht dabei ein Kraftakt bevor. Um in den Fonds aufgenommen zu werden, muss jeder Pauschalreiseanbieter im Voraus eine finanzielle Sicherheit hinterlegen, die nach Vorstellungen des Bundesjustizministeriums sieben Prozent des Jahresumsatzes betragen soll. Für Tui könnte dies eine Summe von 350 Millionen Euro bedeuten, auch wenn der Konzern die Zahl wegen der noch ungeklärten Gesetzeslage nicht bestätigen will.
Außerdem bestimmt eine Ausführungsvorschrift im geplanten Gesetz, dass sich der Reisesicherungsfonds weigern darf, Pauschalreiseanbieter abzusichern, „die ihm ein unzumutbares Risiko auferlegen und eine erhebliche Belastung des Fondsvermögens in absehbarer Zeit nahelegen“. Das nun durch den Anteilsverkauf aufgepolsterte Konzernkonto könnte Tui in letzter Minute vor einem solchen Bann bewahren.
Wären da nicht Ratingagenturen wie S&P und Moody‘s. Ihre fast am untersten Ende liegenden Bonitätsnoten „CCC+“ und „Caa1“ konnten bislang nicht einmal die zahlreichen Kapitalspritzen nach oben bewegen.
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Reisekonzern: Nach Riu-Deal: Verkauf von Hotel-Immobilien verschafft Tui für zwei Monate Luft - Handelsblatt
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