Stand: 05.05.2021 14:59 Uhr
Erstmals deutet die US-Finanzministerin und frühere Notenbankchefin Janet Yellen die Möglichkeit steigender Zinsen an. Auch wenn sie später etwas zurückrudert, an den Börsen ist die Verunsicherung groß.
Der Monat Mai hat unter Aktienanlegern einen schlechten Ruf, sind doch die Sommermonate an der Börse statistisch gesehen schlechter als der Rest des Jahres. Auch in diesem Jahr stehen die Signale auf gelb. Am Dienstagabend sprangen sie sogar kurzzeitig auf rot, nachdem US-Finanzministerin Janet Yellen erstmals öffentlich einen möglichen Anstieg der Zinsen ins Gespräch brachte. Ein solcher Schritt könne dazu beitragen, ein Überhitzen der US-Wirtschaft durch die massiven Konjunkturprogramme von Präsident Joe Biden zu verhindern, sagte sie auf einer Veranstaltung des Magazins "The Atlantic".
"Es könnte sein, dass die Zinsen etwas ansteigen müssen, um sicherzustellen, dass unsere Wirtschaft nicht überhitzt", so Yellen. Dabei sprach sie von "sehr moderaten Erhöhungen" des Leitzinses. Dennoch drehten die Aktienmärkte umgehend ins Minus. Besonders die in den vergangenen Monaten gut gelaufenen Tech-Werte rutschten deutlich ab.
Anleiherenditen steigen kräftig
Der Einbruch ist keine Überraschung, reagieren Anleger doch stets empfindlich, wenn sie eine Korrektur der Leitzinsen befürchten. Und genau das war jetzt der Fall. Schon seit Wochen wird an der Wall Street darüber diskutiert, ob und wann die US-Notenbank die Zügel ihrer ultralockeren Geldpolitik wieder anziehen wird. Die Frage führte bereits mehrfach zu Turbulenzen an den Märkten.
Als untrügliches Zeichen für eine bevorstehende Zinswende gilt die Entwicklung an den Anleihemärkten. Dort sind die Renditen für zehnjährige amerikanische Staatsanleihen seit Sommer von 0,51 Prozent auf bis zu 1,77 Prozent gestiegen und notieren nach einer Entspannungsphase wieder bei rund 1,6 Prozent. Damit werden Anleihen als Alternative zu Aktienanlagen zunehmend attraktiv, zumal viele Experten davon ausgehen, dass die Renditen weiter steigen werden.
Dafür spricht den Ökonomen zufolge das zwei Billionen Dollar schwere Konjunkturprogramm von Präsident Joe Biden. Die Wirtschaft benötige zwar die geplanten Investitionen, doch werde dadurch die Inflation angeheizt, was wiederum die Notenbank Fed alarmiere. Bereits im März ist die Teuerungsrate in den USA im Jahresvergleich auf 2,5 Prozent angestiegen und übertraf damit die Zielmarke der Fed von 2,0 Prozent.
Behutsames Vorgehen nötig
Ein Wiederanstieg des in der Pandemie auf fast Null abgesenkten US-Leitzinses erscheint damit programmiert. Um einen Crash der Aktienmärkte zu verhindern, müssen Notenbanker und Politiker das Zinsthema allerdings behutsam angehen. Denn ein Einbruch der Märkte wäre verheerend in einer Zeit, in der die Amerikaner mehr denn je ihr Erspartes in Aktien angelegt haben. Das weiß niemand so gut wie Yellen, die vor ihrer Ernennung zur Finanzministerin vier Jahre lang, von 2014 bis 2018, die US-Notenbank Fed leitete.
Yellen ruderte denn auch rasch zurück und sagte auf einer späteren, ebenfalls gestern Abend stattfindenden Veranstaltung des "Wall Street Journals", sie habe nicht gesagt, dass sie eine Zinsanhebung empfehle. "Das ist nichts, das ich erwarte oder empfehle", so Yellen. Auch gehe sie nicht davon aus, dass die Inflation zu einem Problem für die US-Wirtschaft werde. Die Preiserhöhungen während der Konjunkturerholung seien nämlich nur vorübergehend.
Wann kommt die Zinswende?
Ähnlich hatte sich vorige Woche auch Fed-Chef Jerome Powell geäußert. Ihm war es gelungen, die Märkte zu beruhigen, in dem er sich so vage wie nur möglich zur künftigen Zinspolitik äußerte. Eine baldige Straffung der ultralockeren Zinsen ist nicht zu erwarten, denn, so Powell, es sei ihm wichtig, dass sich der Arbeitsmarkt nachhaltig erhole.
Zwar gebe es starke Signale, aber noch keinen Trend. Erst wenn sich die Wirtschaft klar in Richtung Vollbeschäftigung bewege und sich abzeichne, dass die Inflation längere Zeit die angestrebte Schwelle von zwei Prozent durchbreche, werde es zu einer ersten Anhebung des Leitzinses kommen müssen. Wann das sein wird, ließ er natürlich offen.
Auch renommierte Marktexperten wie Neil Wilson vom Londoner Handelshaus markets.com wollen sich nicht festlegen. "Yellen hat womöglich den Startschuss für eine Zinswende abgefeuert, aber ich denke, dass Powell hart daran arbeiten wird, diesen Eindruck zu widerlegen, solange das Ziel der Vollbeschäftigung in den USA nicht erreicht ist", so Wilson.
Dass die Aussage der Finanzministerin auf eine Zinswende nach der Sommerpause, etwa im Oktober, hindeuten könnte, glaubt Wilson nicht. Die Geldpolitik werde nicht von Yellen bestimmt, sondern von Powell. Und der habe bisher keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, dass die Nullzinspolitik demnächst beendet werden würde.
Renditen steigen auch in Europa
Auch Branchenbeobachter Valentin Marinov von der französischen Bank Credit Agricole will sich zu einem möglichen Zeitpunkt einer Zinswende in den USA nicht äußern. Er sieht aber in der Aussage Yellens ein eindeutiges Indiz dafür, dass in den USA derzeit auf höchster Ebene darüber debattiert wird, wie lange die ultralockere Geldpolitik der Notenbank noch notwendig ist, um die US-Wirtschaft zu stimulieren.
Dagegen deutet in Europa derzeit nichts darauf hin, dass die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank demnächst beendet werden könnte. Allerdings sind auch hier die Anleiherenditen gestiegen. Zehnjährige deutsche Staatsanleihen notieren aktuell bei minus 0,18 Prozent und damit auf dem höchsten Stand seit einem Jahr. "Wenn sich die Renditen im Sommer der schwarzen Null annähern, könnte das auch in Deutschland Großinvestoren aus dem Aktien- in den Rentenmarkt locken", glaubt Marko Behring, Leiter Asset Management der Fürst Fugger Privatbank aus Augsburg.
Yellen-Äußerungen: Stehen die USA vor der Zinswende? | tagesschau.de - tagesschau.de
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