Wissenschafter rätseln: Aktiviert der Impfstoff von Curevac das Immunsystem nicht genügend? Oder schützt er nur gegen manche der derzeit kursierenden Sars-CoV-2-Varianten?
Das deutsche Biotech-Unternehmen Curevac kommt mit der Entwicklung seines Corona-Impfstoffs nicht wie gewünscht voran. Die eigene Vakzine habe in der laufenden klinischen Studie nur eine vorläufige Wirksamkeit von 47 Prozent gezeigt, teilte Curevac am Mittwochabend mit. Die Nachricht ist eine grosse Enttäuschung, nicht nur für das das Tübinger Unternehmen und dessen Aktionäre. Denn damit hat der auf der Messenger-RNA-Technologie (mRNA) beruhende Impfstoff vorerst keine Aussicht auf eine Zulassung – dafür braucht es eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent. Curevac hat sowohl bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) als auch bei Swissmedic eine Zulassung im rollenden Verfahren beantragt.
Sind Varianten schuld?
Zwar kann es sein, dass sich die Wirksamkeit noch verbessert, da das verkündete Ergebnis nur das Resultat einer Zwischenauswertung ist. Curevac will in den nächsten drei Wochen die endgültige Auswertung vorlegen. Aber derzeit scheint es unwahrscheinlich, dass der Tübinger Impfstoff die Schutzwirkung der zugelassenen Konkurrenzprodukte erreichen kann. Denn die Biontech/Pfizer-Vakzine ebenso wie jene von Moderna erreichen laut den Studien eine Wirksamkeit von jeweils rund 90 Prozent.
Offenbar schütze die Vakzine vor allem Jüngere, hingegen lasse sich nichts über den Schutz von Menschen über 60 Jahren sagen, erklärte Curevac-Chef Franz-Werner Haas am Donnerstag an einer Pressekonferenz. Gegen welche Varianten nun die Curevac-Vakzine wirkte und gegen welche nicht, wurde nicht mitgeteilt. Man hofft, das nach der Endauswertung sagen zu können.
Die Ursache des enttäuschenden Ergebnisses sind laut Curevac die in den letzten Monaten aufgetauchten Sars-CoV-2-Varianten. Man habe bei 474 Probanden die vorhandenen Sars-CoV-2-Varianten analysiert und 29 verschiedene gefunden, teilte das Unternehmen mit. Für die Wirksamkeitsberechnung konnten allerdings nur 124 Fälle einbezogen werden, bei denen insgesamt 13 Virusvarianten gefunden wurden. Gut die Hälfte waren sogenannte «Variants of Concern» wie die erstmals in Grossbritannien festgestellte Alpha- oder die in Indien entdeckte Delta-Variante. Beide gelten als ansteckender als das Ursprungsvirus. Es gibt Hinweise, dass die Delta-Variante der Immunabwehr Genesener zumindest teilweise entwischen kann. Zudem haben die Curevac-Forscher bei ihren Probanden in Peru oder Kolumbien auch andere, noch weitgehend unbekannte Virusvarianten detektiert.
Es stellt sich nun die Frage, ob der Curevac-Impfstoff, aus welchen Gründen auch immer, schlechter ist als die anderen mRNA-Impfstoffe, also jene bisher zugelassenen von Biontech beziehungsweise Moderna. Darüber kann man momentan nur spekulieren.
Es gibt offenbar einige kleine Unterschiede. So enthielt eine Impfdosis von Curevac in der klinischen Studie 12 Mikrogramm mRNA. Das ist der eigentliche Wirkstoff. Der mRNA-Strang enthält die Bauanleitung für das virale Spike-Protein, welches das Immunsystem aktiviert. Eine Injektion von Biontech/Pfizer enthält 20, jene von Moderna 100 Mikrogramm. Zudem sind Bauteile der mRNA beim Curevac-Produkt nicht modifiziert, bei den anderen beiden mRNA-Vakzinen hingegen schon. Für den Studienleiter Peter Kremsner von der Universität Tübingen sind das allerdings keine nennenswerten Unterschiede. Ob sie tatsächlich zu der praktisch halbierten Wirksamkeit der Curevac-Vakzine geführt hätten , sei völlig unklar.
Es ist durchaus möglich, dass eine Vakzine scheitert und andere reüssieren, obwohl sie auf derselben Technologie basieren. Das muss nun akribisch abgeklärt werden. Denn sollte es nicht am Curevac-Produkt liegen, sondern sollten die Virusvarianten die Vakzine unwirksam werden lassen, dann könnte es sein, dass auch die bereits zugelassenen und millionenfach verimpften mRNA-Vakzine mit Zunahme der aktuellen und möglichen weiteren Varianten weniger wirksam werden.
Dessen sind sich auch Biontech/Pfizer und Moderna bewusst. Sie tüfteln laut eigenem Bekunden bereits an angepassten Impfstoffen. Bei der Biontech-Vakzine deutet derzeit allerdings nichts darauf hin, dass sie gegen die Delta-Variante nur noch einen drastisch reduzierten Schutz bietet.
Dies zeigen Daten der Impfkampagne aus Grossbritannien. Public Health England hat Ende Mai mitgeteilt, dass die Biontech/Pfizer-Vakzine gegen die Delta-Variante eine Wirksamkeit von 88 Prozent aufweise. Bei der Alpha-Variante betrug die Wirksamkeit 93 Prozent – und in den klinischen Studien, die letztes Jahr durchgeführt wurden, als es noch keine derart besorgniserregenden Mutationen gab, waren es rund 95 Prozent.
Angepasste Impfstoffe
Viele Experten halten es derzeit trotzdem für nötig, angepasste Impfstoffe zu entwickeln. Gerade ältere Menschen, deren Immunsystem nach einer Impfung oftmals nicht so aktiv ist, könnten solch eine angepasste Auffrischung, eventuell schon im kommenden Jahr, benötigen.
Doch die grosse Frage ist, wie solch ein angepasster Impfstoff aussehen sollte. Denn Sars-CoV-2 verändert sich ständig. Noch ist nicht ganz klar, welche Mutationen seine Proteine auf der Oberfläche so umgestalten, dass die durch Impfung oder Infektion gebildeten Antikörper die neue Variante wirklich nicht mehr erkennen.
Curevac-Impfstoff hat eine nicht ausreichende Wirksamkeit - Neue Zürcher Zeitung - NZZ
Read More
No comments:
Post a Comment