Den Curevac-Schreck zu verdauen, wird dauern. Aber die ersten Schlüsse sind gezogen: Die schlechten Ergebisse bei der Impfstoffentwicklung treffen uns alle. Außerdem wissen wir jetzt, wie außergewöhnlich der Erfolg von Biontech & Co war.
Es war im März vergangenen Jahres, in den frühen unruhigen Stunden der Pandemie, kurz vor dem ersten Lockdown. Plötzlich richteten sich alle Augen auf Tübingen. Besucher wurden auf dem Parkplatz eines bis dahin unbekannten Biotechunternehmens von einem Sicherheitsdienst abgefangen, Gerüchte machten die Runde, dass US-Präsident Donald Trump die Impfstoffe dieses Unternehmens nur für sein Land haben wollte, exklusiv, für eine Milliarde Dollar. Das erste unmoralische Angebot der Corona-Pandemie.
Von einem auf den anderen Tag wurde das Tübinger Unternehmen weltbekannt, es wurde zu einem frühen Symbol der Hoffnung im Kampf gegen das noch weitgehend unerforschte Coronavirus: Curevac hieß die Firma, ihr Gründer Ingmar Hoerr gilt als der Pionier der mRNA-Forschung.
Es kam anders, nicht nur wegen Trump. Der deutsche Staat stieg im Sommer ein, mit einem dreistelligen Millionenbetrag. Dann wurde es ruhiger um Curevac, andere Forscher sorgten für Schlagzeilen und dann für Erlösung, vorneweg das Mainzer Unternehmen Biontech. Aus Tübingen kamen immer spärlichere Nachrichten: Man sei dran, man brauche Zeit.
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag dann die Schicksalsnachricht: Der Impfstoff von Curevac erweist sich als viel weniger wirksam als erhofft: nur 47 Prozent. Jeder Impfling weiß inzwischen, was diese Zahl bedeutet, wie niederschmetternd sie ist, selbst wenn er oder sie mit nur einem Shot vom ungeliebten Astrazeneca beim Public Viewing sitzt.
Rückschlag nicht nur für das Unternehmen
Die Aktie des Biotech-Unternehmens stürzte etwas mehr als um den Wert der Wirksamkeit ab, um gut 50 Prozent. Innerhalb von Minuten wurden rund 8 Milliarden Börsenwert vernichtet. Der Staat, der mit seinem Investment in Höhe von 300 Millionen Euro gut 23 Prozent gekauft hat (nach einer Kapitalerhöhung sind es noch 16 Prozent), ist immerhin noch im Plus.
Das aber ist nicht entscheidend, die 47 Prozent sind ein Rückschlag für alle - für das Unternehmen, die Investoren und jeden, der noch auf eine Impfung wartet oder ab Herbst wieder warten wird. Denn insgesamt hatte Curevac geplant, in diesem Jahr 300 Millionen Dosen herzustellen und bis zu einer Milliarde Dosen im kommenden Jahr. Die Europäische Union hat sich von dem Impfstoff bis zu 405 Millionen Dosen gesichert.
Der Staatseinstieg des Bundes war nicht per se eine schlechte Idee. Die amerikanische "Operation Warp Speed" und andere Verträge haben gezeigt, dass bei globalen Impfkampagnen Regierungen und Unternehmen schnell und entschlossen Hand in Hand gehen müssen. Es ist also keine Zeit für Häme, Belehrungen oder einen weiteren Rückschaufehler in dieser Pandemie - niemand wusste vor einem Jahr, wie das große Rennen um den Impfstoff ausgeht. Andererseits hätte es vermutlich auch so genug Geld für Curevac gegeben.
Der Rückschlag von Curevac macht vor allem deutlich, wie groß das Glück war, so früh und viel und mehrfach Erfolg zu haben: Das gilt für Biontech, Moderna, AstraZeneca, Johnson & Johnson, und auch für die russischen und chinesischen Impfstoffe.
Curevac ist noch nicht aus dem Spiel
Was hier passiert, ist in der Biotechbranche Alltag und Normalfall, da gibt es nicht regelmäßig Erfolge oder Wunder, schon gar nicht, wenn es um ein Virus geht, das gerade die ganze Menschheit bedroht. Die Branche kennt die hohen Risiken, die vielen Milliarden, die über Jahre investiert und verloren werden, die vergebliche Suche. Viele der Biotechunternehmen haben nur einige Hoffnungsträger in der Pipeline, und zahlreiche Suchen und Versuche scheitern. In dieser Phase der Pandemie - viele Menschen sind geimpft, die Virusvarianten zahlreich - ist es für Curevac noch herausfordernder, die Wirkstoffe zu testen. Und es halten sich hartnäckig Berichte, dass die Tübinger sich ein wenig verirrt und verzettelt haben.
Die Pandemie ist nicht vorbei, auch wenn die Inzidenzen insbesondere in der westlichen Welt einstellig werden - es kann weitere Wellen und Mutanten geben, und es wird in jedem Fall nötig sein, dass in den kommenden Jahren Milliarden Menschen zum ersten, zweiten oder gar dritten Mal geimpft werden.
Ob Curevac überhaupt die Zulassung für den Impfstoff erhalten wird und absehbar liefern kann, ist derzeit unklar. Aus dem Spiel sind die Tübinger jedoch nicht. Experten setzen auf die zweite Generation der Curevac-Impfstoffe.
Das Unternehmen war ein frühes Symbol, und ist nun ein spätes Symbol für den Sommer der Hoffnung, einen Sommer, den alle so sehnlich erwartet haben: dass Mitte 2021 die Hälfte der Deutschen zumindest einmal geimpft ist, war im März 2020 nicht abzusehen.
Horst von Buttlar ist Chefredakteur von "Capital".
Der Kommentar erschien zuerst bei Capital.de.
Impfstoff-Debakel: Curevac - ein furchtbar normaler Rückschlag - n-tv NACHRICHTEN
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