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Thursday, September 23, 2021

250 Prozent „Gasflation“: Droht Deutschland jetzt das Briten-Szenario? - WELT

Die gute Nachricht: Um die britischen Inseln bläst ein frischer Wind. Am Donnerstagvormittag war Windenergie damit für rund 45 Prozent der Elektrizitätserzeugung verantwortlich, zum ersten Mal seit Ende Mai kamen mehr als zwölf Gigawatt aus den Windfarmen rings um Großbritannien.

Für die Kunden der Energieversorger Avro Energy und Green kommt die aktuelle Brise zu spät. Am Mittwoch sind beide Firmen pleitegegangen, 835.000 Kunden sind betroffen. Insgesamt mussten in den vergangenen sechs Wochen sieben Anbieter aufgeben, mehr als 1,5 Millionen Kunden im ganzen Land stehen ohne Versorger da.

Auslöser der Krise sind vor allem die hohen Gaspreise, mit denen ganz Europa kämpft. Großbritannien leidet darunter besonders. Die lange sommerliche Flaute hat den Energiemix durcheinandergebracht, in den Vorjahren konnte im Sommer ein großer Teil des Energiebedarfs mit erneuerbaren Energien gedeckt werden.

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Außerdem verfügt das Land seit der Schließung eines großen Gaslagers vor einigen Jahren kaum noch über Lagerkapazität. Dabei spielt Gas für das Heizen eine große Rolle.

Der Anstieg der Gaspreise – um 250 Prozent im Vergleich zum Jahresanfang – „ist etwas, was wir so vorher nicht gesehen haben, in dieser Geschwindigkeit“, sagte Jonathan Brearley, Chef von Ofgem, der Regulierungsbehörde für den Gas- und Elektrizitätsmarkt. Er könne nicht ausschließen, dass in den kommenden Wochen noch deutlich mehr Kunden vom Aus ihrer Energieversorger betroffen sein werden.

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Bisher wurden die Kunden jeweils von anderen Anbietern übernommen, unter der Aufsicht von Ofgem. Allerdings werden ihnen dabei nicht unbedingt die gleichen Tarife angeboten. Für viele Verbraucher bedeutet das deutlich höhere Rechnungen, während auch für viele andere Produkte des täglichen Bedarfs die Preise anziehen.

Heizkosten könnten um 13 Prozent steigen

Angesichts immer mehr Verbrauchern, die plötzlich ohne Energieversorger dastehen, könnte das bisherige Modell aber an Grenzen stoßen, heißt es aus der Branche. „Für die neuen Kunden müssen wir ja erst einmal Energie einkaufen, kein Spaß bei diesen Preisen“, klagte ein Manager eines mittelgroßen Versorgers.

Derweil schaut sich die Regierung an, ob sie eine außerordentliche Steuer auf die Gewinne von Profiteuren der hohen Energiepreise erheben könnte, unter anderem Stromerzeuger und Energiehändler. Ein solches Modell hat die Regierung in Spanien angekündigt, um damit drei Milliarden Euro einzusammeln.

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„Wir schauen uns alle Optionen an. Was Spanien machen will, würdigt, dass es sich hier um ein komplettes Energiesystem handelt“, sagte Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng am Mittwoch vor Abgeordneten.

In Deutschland gibt es zwar keine Pleiten von Anbietern, die Lage beim Preis ist aber ähnlich dramatisch. Auf einen durchschnittlichen Haushalt kommen in diesem Jahr 13 Prozent höhere Heizkosten zu, so eine Prognose der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft CO2online. Gründe für die höheren Heizkosten seien vor allem steigende Energiepreise, aber auch kühleres Wetter.

Neben dem Gaspreis ist auch der Preis für Heizöl stark gestiegen. Heizt ein durchschnittlicher Haushalt mit Heizöl, steigen die Kosten im Vergleich zum Vorjahr um 44 Prozent. Bei einer 70 Quadratmeter großen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus macht das im Schnitt rund 275 Euro aus. Bei einer Erdgasheizung sind es rund 90 Euro mehr (13 Prozent).

Auch die Marktauswertungen des Vergleichsportals Check24 bestätigen fast schon dramatische Preissteigerungen beim Gas. 50 Gasgrundversorger haben bereits ihre Preise erhöht oder Preiserhöhungen angekündigt. Zwischen 1,4 und 26 Prozent liegen die Preiserhöhungen.

Keine Wende in Sicht

Im Durchschnitt seien es 11,5 Prozent mehr, wovon gut 310.000 Haushalten betroffen seien. Für einen Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 kWh bedeutet das zusätzliche Kosten von durchschnittlich 172 Euro pro Jahr. Der Preis in der Grundversorgung liege mittlerweile auf einem Rekordhoch.

Verbraucher müssten diesen Winter mit einer Welle an Gaspreiserhöhungen rechnen, sagt Steffen Suttner, Geschäftsführer Energie bei Check24. „Daran ist nicht zuletzt die steigende CO2-Abgabe schuld. Ein Musterhaushalt zahlt 2022 dafür allein 143 Euro.“

In Großbritannien ist eine schnelle Wende nicht in Sicht. Die Analysten der US-Bank Citi haben ihre Erwartungen für die Gaspreise gerade mehr als verdoppelt. Für Europa rechnen sie im vierten Quartal pro MMBtu (britisches thermisches Maß, ein knappes Drittel einer Megawattstunde) im Schnitt mit 27,70 Dollar (23,63 Euro), statt 12,90 Dollar in den bisherigen Szenarien.

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Für die kommenden Wochen und Monate sagen sie weiter erhebliche Ausschläge voraus. Plötzliche Nachfrageschübe oder Probleme auf der Lieferseite dürften die Preise schnell weiter nach oben treiben.

Bei anhaltend hohen Gaspreisen dürfte auch eine der überraschenden Folgen des Kostensprungs wieder in den Blick rücken: der Mangel an Kohlendioxid in Lebensmittelqualität. Das Gas wird unter anderem als Betäubungsmittel beim Schlachten, für eine sichere Atmosphäre beim Verpacken und für kohlensäurehaltige Getränke eingesetzt.

Außerdem findet es bei der industriellen Kühlung und in der Medizin Einsatz. Vergangene Woche wurde es in Großbritannien knapp, nachdem der US-Düngemittelhersteller CF Industries angesichts der hohen Energiepreise die Produktion eingestellt hat. CO2 ist ein Nebenprodukt bei der Herstellung von Ammoniak für Dünger, CF Industries liefert gut 60 Prozent des britischen Bedarfs.

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„Wir waren genauso überrascht wie alle anderen über die Abhängigkeit und die kritische Bedeutung unseres CO2 für die britische Wirtschaft“, sagte Tony Will, Vorstandschef von CF Industries, der „Financial Times“. Inzwischen hat die Regierung eine Übergangsfinanzierung angeboten, die Düngemittelproduktion läuft wieder.

Die Steuerzahler werde das allerdings einige Millionen Pfund kosten, räumte Umweltminister George Eustice ein. Vor allem gilt die Abmachung zunächst nur für drei Wochen, Kohlendioxid könnte bald wieder knapp werden.

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