Küchentisch statt Großraumbüro und Videoanruf statt persönlichem Gespräch: Für viele Menschen ist das Homeoffice spätestens seit dem Frühjahr 2020 zum Teil des Arbeitsalltags geworden. Europaweit hat sich die Anzahl derjenigen, die ihr Zuhause zum Arbeitsplatz machen, im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt – zu diesem Schluss kommt eine Erhebung des statistischen Amts der Europäischen Union (Eurostat).
In dem internationalen Vergleich kann sich Deutschland keine Spitzenposition unter den Ländern mit den höchsten Homeoffice-Raten sichern – obwohl es hier die meisten Regionen mit größtem Zuwachs des mobilen Arbeitens gibt.
Laut Eurostat-Erhebung haben zwölf Prozent der EU-Bürger im Jahr 2020 aus dem Homeoffice gearbeitet. In den Vorjahren hatte dieser Wert konstant bei lediglich sechs Prozent gelegen. Der Spitzenreiter der Homeoffice-Hotspots liegt in Finnland: Mehr als 37 Prozent der 20- bis 64-Jährigen arbeiteten in der Hauptstadtregion Helsinki-Uusimaa im vergangenen Jahr überwiegend von Zuhause.
In einigem Abstand folgen zwei belgische Regionen: Platz zwei belegt die Provinz Wallonisch-Brabant (27 Prozent), die geografisch direkt südlich an den dritten Platz – die Hauptstadtregion Brüssel – mit 26 Prozent anschließt. Das gute Abschneiden Finnlands ist keine sonderliche Überraschung: Dort arbeiteten bereits 2019 rund 15 Prozent der Arbeitnehmer mobil, belegen auch Daten des Wirtschaftsprüfers Deloitte.
Zum Vergleich: In Deutschland waren es nur knapp fünf Prozent. In den Top-3-Regionen arbeiten nicht nur die meisten Menschen von daheim, hier lässt sich auch das größte Wachstum der Homeoffice-Nutzer im vergangenen Jahr verorten: 20 Prozent mehr Menschen als in den Vorjahren entschieden sich dazu, aus den eigenen vier Wänden zu arbeiten.
Auch das deutsche Homeoffice punktet: Deutschland belegt den sechsten Platz der europäischen Länder, die im Vergleich zum Vorjahr den meisten Zuwachs im Homeoffice verzeichnen. Keine europäische Nation ist in mehr Regionen stärker gewachsen. In den Clustern Oberbayern, Düsseldorf und Köln haben besonders viele Berufstätige aus dem Eigenheim gearbeitet. Der Erhebung zufolge sind hier mindestens zwölf Prozent mehr Menschen als in den Vorjahren von zu Hause aus beruflich tätig.
Gleiches gilt für neun weitere Regionen – darunter sind Stuttgart, Berlin, Hamburg, Darmstadt und das Saarland. Den Vormarsch des Homeoffice in Deutschland bestätigt auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, wonach 16 Prozent der Befragten überwiegend im Homeoffice arbeiten. Weitere 17 Prozent würden sich eines Hybridmodells bedienen, also abwechselnd von zu Hause und im Betrieb arbeiten.
Auffällig: Einzig in der Region Chemnitz hat das Homeoffice weniger als zwei Prozent zugelegt. Keines der östlichen Bundesländer hat mehr als sieben Prozent Zuwachs von Menschen im Homeoffice zu verzeichnen. „Wenn auch in Deutschland mehr Menschen in Zukunft die Vorteile mobiler Arbeit nutzen können sollen, muss die nächste Bundesregierung sich auf ein Recht auf Homeoffice für die Beschäftigten einigen“, kommentiert Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).
Mehr Flexibilität und Selbstbestimmung, Zeitersparnis durch wegfallende Arbeitswege und bessere Vereinbarkeit von Leben und Arbeiten dürften in Zukunft nicht allein vom guten Willen von Arbeitgebern abhängen, so die Gewerkschafterin weiter. Es sollten aber auch Risiken des ungeregelten mobilen Arbeitens adressiert werden: „Entgrenzung durch ständige Erreichbarkeit, Mehrfachbelastungen wie gleichzeitige Sorgearbeit und Erwerbsarbeit können krank machen“, sagt Piel.
Deshalb fordern die Gewerkschaften „schützende Leitplanken“: Besonders wichtig sei dabei, dass mobiles Arbeiten freiwillig bleibe und nicht zu einem Abbau der Büro-Arbeitsplätze führe. Mitbestimmung beim mobilen Arbeiten durch Betriebs- und Personalräte, Zeiterfassung am häuslichen Arbeitsplatz und eine gute technische Ausstattung seien Grundbedingungen für gesunde, zufriedenstellende mobile Arbeit für die Beschäftigten.
Europaweit gleicht die Verbreitung des Homeoffices einem Flickenteppich: Während in Deutschland, Belgien, Irland und Finnland mobiles Arbeiten kein Phänomen ist, wird in vielen östlichen und südlichen Gebieten des Kontinents vorwiegend am Arbeitsplatz gearbeitet.
Weniger als fünf Prozent der Beschäftigten haben 2020 in Kroatien, Zypern, Lettland oder Bulgarien abseits des regulären Arbeitsplatzes gearbeitet. Gleiches gilt für große Mehrheiten in Ungarn, Rumänien und Griechenland. Auch in Norwegen und Schweden gibt es kaum einen Zuwachs von Menschen, die mobil arbeiten.
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Homeoffice: Deutschland und Europa – hier arbeiten die meisten von Zuhause - WELT
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