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Sunday, September 26, 2021

Secondhand-Boom: Öko-Trend macht Händler zu Milliarden-Unternehmen - WELT

Flohmarkt war gestern. Gebrauchsgüter aus zweiter Hand streifen das alte Image irgendwo zwischen Nostalgie und Armut zunehmend ab und rücken als Beleg für cleveres Einkaufen und intaktes Umweltbewusstsein in den Mittelpunkt des Konsumverhaltens.

Ob Bücher, Games, Mode oder Handys – der Zweitmarkt hat an Schwung gewonnen und umfasst inzwischen alle Marktsegmente vom Billigprodukt bis zu Luxusartikeln. Nach einer Erhebung der Statistik-Plattform Statista haben 44 Prozent der deutschen Verbraucher im vergangenen Jahr mindestens ein gebrauchtes Produkt erworben.

Quelle: Infografik WELT

Treiber des Aufschwungs sind digitale Kleinanzeigenmärkte wie Ebay oder Vinted und Onlinehändler für Secondhand-Ware wie Momox, Refurbed oder Rebuy. Die Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG) bezifferte das aktuelle globale Marktvolumen auf bis zu 40 Milliarden Dollar (34 Milliarden Euro).

„Konsumenten merken zunehmend, dass sie sowohl leistbare als auch nachhaltig exklusive, trendige Artikel von hoher Qualität kaufen können“, heißt es in der Studie. Bis zur Mitte des Jahrzehnts seien 20 Prozent Wachstum zu erwarten.

Beteiligungsgesellschaften investieren Milliarden

Die Corona-Phase hat dem Trend zusätzlichen Schub gegeben. Knapp zwei Drittel der Konsumenten haben seit Beginn der Pandemie ihre Kleiderschränke ausgemistet, ermittelten die Handelsforscher des Kölner IFH-Instituts. Kleidung und Schuhe stehen nach Umfragen an der Spitze der Artikel, von denen sich die Deutschen leichten Herzens trennen, gefolgt von Büchern und Medien, Unterhaltungselektronik und Möbeln.

„Die Hauptmotivation für einen Verkauf ist die Einsicht, dass es schlicht zu schade wäre, die Produkte wegzuwerfen, dicht gefolgt von dem Wunsch, zu Hause Platz zu schaffen“, sagt Rebuy-Chef Philipp Gattner. Nach einer im September durchgeführten Umfrage des Unternehmens kaufen oder verkaufen 31 Prozent der deutschen Konsumenten derzeit „mehr“ oder „viel mehr“ aus zweiter Hand als früher.

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Louis-Vuitton-Chef

Investoren entdecken den Markt als Chance für lukrative Anlagen. So sammelte Vestiaire Collective, eine in Paris gegründete Plattform für Luxusmode, Taschen und Schuhe aus zweiter Hand, in der vergangenen Woche 178 Millionen Euro ein.

Neben der japanischen Softbank-Gruppe, einem namhaften Tech-Investor, stieg der frühere amerikanische Vizepräsidet Al Gore über den von ihm geleiteten Fonds Generation Investment Management ein. Für Vestiaire Collective war es bereits die zweite Runde in dieser Größenordnung im laufenden Jahr.

Eine gebrauchte Louis Vuitton für 800 Euro

Der Muff von Kleiderkammern ist im digitalen Secondhand-Markt in jeder Hinsicht Lichtjahre entfernt – manchmal auch bei den Preisen. So werden auf der Website von Vestiaire Collective beispielsweise Taschen von Louis Vuitton für 800 Euro angeboten, ein blaues Seidentop von Balenciaga kostet 488,94 Euro, ein Silbercollier von Bulgari gibt es für 2389,38 Euro.

Fest etabliert hat sich auch ein Zweitmarkt für Sneaker. Der Anbieter StockX spricht von rund sechs Milliarden Dollar Marktvolumen weltweit, was immerhin einem Anteil von sechs Prozent des Neumarktes entsprechen würde.

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Vestiaire Collective wurde in der jüngsten Finanzierungsrunde mit 1,7 Milliarden Dollar bewertet. Die Investoren schielen dabei auf hohe Wachstumsraten gerade am oberen Ende des Sekundärmarkts. „In den letzten zwölf Monaten steigerte das Unternehmen die Anzahl der Bestellungen weltweit um mehr als 90 Prozent, in den USA, dem mittlerweile größten Markt, um 100 Prozent und in Asien um 150 Prozent“, meldete Vorstandschef Maximilian Bittner. Nun solle die Marktdurchdringung mit dem zusätzlichen Geld weiter vorangetrieben werden.

Auch große Plattformen und Massenhersteller für Neuware sind in den Warenkreislauf eingestiegen. Zalando etwa hat den Secondhand-Markt Zircle eingerichtet. H&M kooperiert mit der vor neun Jahren gegründeten Plattform Mädchenflohmarkt, ebenso wie About You und Breuninger.

Kleidung, Schuhe und Bücher am meisten weiterverkauft

Branchenüblich sind Käuferschutzprogramme wie Geld-Zurück-Garantien oder Rücksendemöglichkeiten. Die Plattformen finanzieren sich über Provisionen, etwa bei Mädchenflohmarkt zehn Prozent für Selbstversender oder 40 Prozent bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen wie Verkauf und Versand.

Die größten Profiteure des Secondhand-Aufschwungs seien jedoch die großen Marktführer Ebay Kleinanzeigen und Amazon Marketplace, so die IFH-Experten. Über sie werde der Großteil der Gebrauchtware angeboten und verkauft. Das Bedürfnis, sich von abgelegten Sachen zu trennen, ist danach bei jungen Konsumenten am stärksten ausgeprägt.

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Unter Befragten zwischen 18 und 29 Jahren hatten 80 Prozent nach eigenen Angaben während der Pandemie alte Dinge aussortiert, vor allem Kleidung (73 Prozent), Schuhe (38 Prozent) und Bücher (33 Prozent).

Das wichtigste Motiv für die Zweitkäufer ist danach, Geld zu sparen oder ein Schnäppchen zu machen. Die Hälfte der Befragten nannte diese Gründe. Mit 40 Prozent der Nennungen steht für beinahe ebenso viele eine nachhaltigere Lebensweise im Vordergrund.

„Gigantischer Berg aus Plastik und Kabeln“

Alltagsgegenstände mehr als einmal zu nutzen ist unumstritten eine der effizientesten und kostengünstigsten Methoden, die Umweltfolgen des Massenkonsums zu mildern. Gerade die Bekleidungsindustrie heizt den globalen Rohstoff- und Energiekonsum an, wobei sich der Trend durch die immer schnelleren Kollektionswechsel bis hin zur kaum getragenen, billigen Wegwerf-Mode beschleunigt hat.

Nach Schätzungen der Öko-Organisation Greenpeace hat sich die Zahl der weltweit produzierten Kleidungsstücke seit der Jahrtausendwende auf mehr als 100 Milliarden Stück verdoppelt. Eine Studie der Barclays Bank machte die Modebranche für acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, mehr als der gesamte Flug- und Schiffsverkehr auf dem Globus.

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Kaum besser sieht es bei Elektrogeräten aus. Hier habe sich die Menge der entsorgten Teile innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt, sagte Gattner.

„Die Welt sitzt auf einem gigantischen Berg von 52 Millionen Tonnen aus Plastik, Kabeln, aber auch wertvollen Rohstoffen“, sagt der Rebuy-Chef. Ein zweites Leben für alte Handys, Hosen oder Romane könnte helfen, den ausufernden Ressourcenverbrauch in den Griff zu bekommen.

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