Rechercher dans ce blog

Sunday, October 10, 2021

China macht dicht - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Eine Viertelstunde dauert in Frankfurt der Gang aus dem Flieger durch Passkontrolle und Gepäckausgabe auf die Straße. Vier Stunden braucht es bei der Rückkehr in Schanghai, bis der Reisende nach Befragungen, Covid-Test und dem Ausfüllen von vier Fragebögen über den Reiseverlauf der letzten zwei Jahre schließlich ohne Pass im Regierungsbus sitzt. Dann wartet das Quarantänehotel.

Hendrik Ankenbrand

Wirtschaftskorrespondent für China mit Sitz in Schanghai.

Wer im staatlich zugewiesenen Isolationszimmer die nächsten 14 Tage durch die dünnen Wände das Herz der zweitgrößten Wirtschaft schlagen hört, kann sich glücklich schätzen. Seit bald zwei Jahren lässt China gerade mal 200 Flüge pro Woche ins Land, 98 Prozent weniger als vor der Pandemie. Ein Visum bekommen selbst die meisten Geschäftsreisenden nicht. Economy-Sitzplätze kosten schnell 5000 Euro und sind kurzfristig fast unmöglich zu ergattern. Wer vor Abflug seine Impfung nicht mit Namen, Adresse und Telefonnummer des Impfarztes belegt oder eine andere der sich ständig wechselnden Regeln verletzt, bleibt auch mit Ticket am Boden.

Während Amerika und Europa ihre Grenzen öffnen, isoliert sich China immer weiter von der Welt. Am G-20-Gipfel in Rom Ende Oktober nehme er nicht teil, hat Staatspräsident Xi Jinping seinen Amtskollegen diese Woche mitgeteilt – schließlich müsse er bei Rückkehr nach Peking andernfalls in Quarantäne, die in der Hauptstadt gar drei Wochen lang vorgeschrieben ist.

Ein Dominoeffekt

Dabei gäbe es eigentlich viel zu besprechen mit dem Führer des Landes, das in den kommenden fünf Jahren die Weltwirtschaft treiben soll wie kein anderes. Ein Fünftel des globalen Wachstums werde in dem Zeitraum aus China kommen, prognostiziert der Internationale Währungsfonds. Doch das könnte zu optimistisch sein. Derzeit sieht sich der globale Handel durch Pekings Alleingänge einem Stresstest ausgesetzt, der nicht zuletzt auch für Deutschland gefährlich werden könnte.

Dabei geht es um mehr als die Isolation im schäbigen Hotelzimmer in Schanghai, die Körper und Geist auf die Probe stellt. Dass dreimal pro Tag kalte Mahlzeiten vor der Tür landen sowie Zimmer und Betten zwei Wochen lang nicht gereinigt werden, dürfte ausländische Investoren kaum davon abhalten, ihr Geld ins Land zu tragen, winkte dort doch weiter die Aussicht auf gute Rendite. Doch der chinesische Markt, zu dem es in der Vergangenheit keine Alternative gab, gilt nun plötzlich als unattraktiv. Das Land stehe vor einer möglicherweise zehn Jahre anhaltenden Stagnation, glaubt Oxford-Ökonom George Magnus, früher Chefvolkswirt der Bank UBS und China-Kenner. Sogar eine „Rezession mit chinesischen Eigenschaften“ sei möglich.

F+Newsletter – das Beste der Woche auf FAZ.NET

Samstags um 9.00 Uhr

ANMELDEN

Kurzfristig ist es der Wohnungsbaukoloss Evergrande, dessen Fall im Reich der Mitte ein Beben auslösen könnte, dessen Schockwellen bis in die Werkshallen von Volkswagen, BMW und Daimler in Deutschland reichen, wo die Gewinne vom größten Automarkt der Welt die Tariflöhne der deutschen Beschäftigten finanzieren. Ob das mit über 300 Milliarden Dollar verschuldete Evergrande zusammenbricht oder vor dem Aufschlag am Boden von der Regierung aufgefangen wird, könnte dabei gar nicht mehr entscheidend sein. Wie Dominosteine droht bereits jetzt ein Konkurrent nach dem anderen umzukippen. Anfang dieser Woche hat mit Fantasia ein weiterer Entwickler aus China seine Schulden nicht mehr bedient.

„Gemeinsamer Wohlstand“

6,5 Prozent trägt der Immobiliensektor laut der Ökonomin Paola Subacchi direkt zur Wirtschaftsleistung des Landes bei. Ihr Kollege Kenneth Rogoff rechnet Sektoren wie die Hersteller von Baumaschinen hinzu und kommt zum Ergebnis, dass Chinas Bruttoinlandsprodukt zu fast 30 Prozent davon abhängt, ob es gut läuft auf dem weltgrößten Häusermarkt. Doch dort brechen gerade die Preise um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein. Wenn der Umsatz in der Immobilienwirtschaft um ein Fünftel zurückgehe, könnte dies Chinas Wirtschaft um 5 bis 10 Prozent schrumpfen, schätzt Ökonom Rogoff. Weil sie ihr Vermögen meist in Wohnungen angelegt haben, würde Chinas Mittelschicht in der Folge das einsparen, was am leichtesten ist – den neuen Daimler, Audi und BMW.

Das Debakel, das aus Fernost nun die Bundesrepublik zu ergreifen droht, ist nicht nur darin begründet, dass Evergrandes Geschäftsmodell jahrelang Erinnerungen wachrief an ein Schneeballsystem. Die Millionen Häuser, die der Konzern mithilfe immer teurerer Kredite baute und verkaufte, hatte der Staat jahrelang eingefordert. Nach der Finanzkrise 2008 hatte Peking mit billigen Krediten Chinas Bauboom vorangetrieben, Landverkäufe brachten dem Staat mehr Geld ein als alle Steuern zusammengenommen. Nun legt Xi Jinping im Stil des obersten Wirtschaftskommandeurs den Schalter um und befiehlt die radikale Kehrtwende.

 Geht das gut? In Städten wie Schanghai ziehen Immobilienkonzerne einen Wolkenkratzer neben dem anderen hoch – jetzt wird das Geld knapp.

Geht das gut? In Städten wie Schanghai ziehen Immobilienkonzerne einen Wolkenkratzer neben dem anderen hoch – jetzt wird das Geld knapp. : Bild: Bloomberg

„Häuser sind zum Wohnen da“, hat der Präsident beschlossen und Unternehmen wie Evergrande den Kredithahn zugedreht, auf dass die hohen Wohnungspreise sinken mögen. „Gemeinsamer Wohlstand“ lautet der Schlachtruf, mit dem der Staatsführer gegen die Spekulation zu Felde zieht. Auf einem so riesigen Spielfeld wie Chinas Immobilienindustrie fast über Nacht die Regeln zu ändern ist ein riskantes Experiment, das vielleicht nicht in seiner Radikalität, aber in seiner Dimension Erinnerungen wachruft an Chinas Zeit unter Mao. Das Land als „uninvestable“ zu bezeichnen, darauf kommt die Finanzwelt allerdings nur heute.

Empfindlichkeiten

Xi Jinpings Gegenreformation, in der sich ökonomische Gesetze den politischen Zielen unterwerfen müssen, könnte sich in ein paar Wochen ganz konkret auf den Bestellseiten von Apple besichtigen lassen, wenn der kalifornische Hersteller sein neues MacBook Pro vorstellt. Das heiß ersehnte Modell werde wohl monatelang nicht lieferbar sein, weil die Fabriken 15 Prozent weniger Computer produzierten, glaubt Apple-Intimkenner Ming-Chi Kuo – schließlich wurde Zulieferer Unimicron, der Schaltkreise für den Laptop produziert, Ende September kurzerhand von der Regierung der Strom abgedreht. Der amerikanische Autobauer Tesla, der deutsche Hersteller VW, der Ludwigshafener BASF-Chemiekonzern – alle leiden sie unter der plötzlichen Stromknappheit, die China zu befallen scheint wie ein Virus.

F.A.Z. Frühdenker – Der Newsletter für Deutschland

Werktags um 6.30 Uhr

ANMELDEN

Doch dass selbst ganzen Stadtvierteln im Land die Elektrizität gekappt wurde, ist keine Naturkatastrophe, sondern das Ergebnis von Politik. Vielerorts hatten Kommunen die Produktion ihrer Kohlekraftwerke plötzlich gedrosselt, um Klimaschutzziele einzuhalten. Auch dass sich der Staat weigerte, die Energiepreise steigen zu lassen, hat dazu beigetragen, dass sich Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt nicht ausgleichen konnten.

Der Energiemangel ist Gift für die Wirtschaft, und verantwortlich sei im Wesentlichen Pekings Ultranationalismus, sind Analysten überzeugt. Dass die Menge an Kohle, die Anfang September im Rohstoffhafen Qinhuangdao 300 Kilometer vor der Hauptstadt lag, statt der üblichen 6 Millionen Tonnen nur noch 4 Millionen Tonnen betrug, ist dem Importverbot für australische Rohstoffe geschuldet, schreibt die Investmentbank Natixis. Nach wie vor beträgt in China der Anteil des Kohlestroms an der Energieproduktion fast 60 Prozent. Doch weil in Canberra Premierminister Scott Morrison eine Untersuchung über den Ursprung des Coronavirus gefordert hatte, ließen die chinesischen Behörden Frachter des weltgrößten Kohleexporteurs Australien über 260 Tage lang nicht anlegen.

Der Wirtschaft das Rückgrat brechen

Zwar gibt es Hinweise, dass der chinesische Zoll in der Energiekrise nun endlich ein paar der eine Million Tonnen australische Kohle freigibt, die zuvor ein Jahr lang an Chinas Küste ungenutzt gelagert hatten. „Doch auch wenn es die einfachste Lösung wäre, das Importverbot aufzuheben, dürfte es angesichts der politischen Spannungen zwischen Australien und China bestehen bleiben“, sagt Natixis-Analyst Gary Ng.

Laut wie nie kritisiert die Europäische Handelskammer Xi Jinpings Egotrip, an dessen Ziel die Unabhängigkeit auch von deutschen Anbietern stehen könnte. Die Sorge, dass Chinas weiterer Aufstieg im Fall von Abschottung keine ausgemachte Sache sei, teilen allerdings auch viele Chinesen. Als Zhang Jun, Dekan der Wirtschaftsfakultät der elitären Schanghaier Fudan-Universität, jüngst eine Verteidigungsrede der chinesischen Wirtschaft hielt, war die Ironie mit Händen zu greifen. Wer glaube, das Land sei nicht innovativ genug, unterschätze die Dynamik der chinesischen Privatwirtschaft, so der Ökonom. Sowohl nach der SARS-Krise 2003 als auch der Finanzkrise 2008 habe die Regierung dem Tech-Sektor keine Steine in den Weg gelegt, der seitdem Weltmarktführer wie das E-Commerce-Haus Alibaba, das Bezahlsystem Alipay und den Taxidienst Didi hervorgebracht hat.

Was jedem Zuhörer klar war, war der Fakt, dass Xi Jinping vor einem Jahr begonnen hat, ausgerechnet all diese und weitere Technologieunternehmen von ausländischem Kapital abzuschneiden, ihre Geschäftsmodelle zu verstümmeln und sie wie im Fall Alipay teilweise zu verstaatlichen. Chinas Privatunternehmen, deren Dynamik das Land nach oben katapultiert hat, sollen nach dem Willen des Staatsführers anderen Zielen dienen – den eigenen, die in der KP-Zentrale als kriegsentscheidend auserwählt wurden für die Zukunft Chinas. Ein Beispiel ist der Bau von Halbleitern, von dem Alibaba und Didi zwar wenig Ahnung haben, der aber Land und Partei befreien soll aus der Abhängigkeit vom Westen.

Quarantänelager statt Hotels

Dass China die Zukunft mit einer Rückkehr in die Fünfzigerjahre gewinnt, ist jedoch selbst für Optimisten schwer vorstellbar. Als am Dienstag die Denkfabriken Atlantic Council und Rhodium ihre Untersuchung zu der Frage vorstellten, wie es mit der Freiheit von Chinas Wirtschaft bestellt ist, die Xi Jinping vor vier Jahren unter viel Beifall beim Davoser Wirtschaftsforum versprochen hatte, fiel die Antwort eindeutig aus: „Rechtsfreie“ Staatseingriffe, das Verbot von Börsengängen privater Firmen im In- und Ausland, das Einstampfen ganzer Branchen wie im privaten Bildungswesen „über Nacht“, die plötzliche Verstaatlichung aller Daten und die Überregulierung der Planer in Peking sei „schockierend“ und werde es der Wirtschaft schwer machen, in ein paar Jahren stärker als 3 Prozent im Jahr zu wachsen.

Von seinem Kurs abbringen dürfte das Xi Jinping kaum. In eineinhalb Wochen verkündet das Pekinger Statistikamt, wie sich Chinas Wirtschaft im dritten Quartal geschlagen hat. Mit einem heftigen Einbruch in der offiziellen Statistik ist kaum zu rechnen, auch wenn Christophe Barraud, Chefökonom von Market Securities und seit Jahren treffsicherstes China-Orakel, dem Land ein Nullwachstum vorhersagt.

Mit derlei Genörgel gibt sich Peking freilich nicht ab. Es widerspreche aller Wissenschaft, Menschen trotz Impfung und Tests wochenlang wegzusperren, hatte die indische Regierung den Handelspartner kürzlich kritisiert. China reagiert darauf in eigener Weise. Quarantänehotels soll es bald nicht mehr geben. Stattdessen haben die Städte bis Ende des Monats Zeit, dauerhafte Lager zu errichten, die helfen sollen, langfristig eine Mindestanzahl Menschen abzusondern. In Schanghai geht es dabei um 50.000 Zellen.

Adblock test (Why?)


China macht dicht - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Read More

No comments:

Post a Comment

adidas-Aktie nachbörslich deutlich tiefer: adidas übertrifft eigene Prognose - Yeezy-Verkäufe sorgen für schwarze Zahlen - finanzen.net

Der Sportartikelkonzern adidas hat im vergangenen Jahr besser abgeschnitten als von ihm zuletzt prognostiziert. Der Nike -Rivale kündigte...