Mit dem Verkauf von Fremdwährungen am Devisenmarkt sucht die türkische Notenbank sich gegen den fortschreitenden Wertverfall der Lira zu stemmen. Die Intervention sei auf „ungesunde Preisentwicklungen“ auf dem Markt zurückzuführen, teilten die Währungshüter mit. Die Lira wertete nach der Ankündigung um bis zu 8,5 Prozent gegen den Dollar auf, um dann in hektischem Handel wieder nachzugeben. Zum Mittag wurden für den Dollar wieder mehr als 13 Lira gezahlt, für einen Euro rund 14,80 Lira. Das waren 3,7 Prozent weniger als am Vortag. Dennoch müssen Käufer für Dollar und Euro etwa 50 Prozent mehr Lira hinblättern als noch vor einem Jahr.
Dass die Notenbank nach sieben Jahren wieder zu diesem, von Ökonomen für eine längerfristige Stabilisierung der Währung als untauglich empfundenen Mittel der Devisenmarktintervention gegriffen hat, zeigt die Dramatik der Lage in der Türkei.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte erst am Dienstagabend abermals seinen Kurs verteidigt, mit sinkenden Zinsen gegen die steigende Inflation vorzugehen. Er drängt auf niedrige Zinssätze, weil diese seinen Worten zufolge das Wachstum ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen und der für Deviseneinnahmen wichtigen Exportbranche helfen.
Arzneimittel werden knapp
Ökonomen halten das für kontraproduktiv und falsch. Aktuell beträgt der Leitzins in der Türkei 15 Prozent, nachdem er im März noch 19 Prozent betragen hatte. Eine weitere Senkung in diesem Monat wird erwartet. Die amtliche Inflationsrate, deren Aussagekraft von manchen angezweifelt wird, liegt bei knapp 20 Prozent. Gewerkschaften verlangen schon höhere Mindestlöhne, weil das Geld zum Leben nicht reiche.
Am Freitag wird die Inflationsrate für November bekanntgegeben. Analysten schätzten sie auf mehr als 20 Prozent – mir weiteren Anstiegspotential im kommenden Jahr. Ein Grund sind die auch wegen des Währungsverfalls steigenden Preise für Importe wie Energierohstoffe, aber auch Waren des täglichen Bedarfs wie Arzneimittel werden teurer. Hier warnt die Branche bereits vor Knappheit, da die staatlich regulierten Preise der Inflation nicht folgen könnten. Kürzlich hatte Apple den Verkauf von iPhones eingestellt, um ihn nach wenigen Tagen zu um 25 Prozent höheren Preisen wiederaufzunehmen. Auch die Preise für Neu- und Gebrauchtwagen schießen durch die Decke.
Knappe Finanzreserven
Tomas Meißner, Chef Research und Finanzmarktstrategie der Landesbank Baden-Württemberg wertet den Schritt als „Verzweiflungstat“. Leitzinsanhebungen, das Mittel zur Wahl zur Abwendung einer drohenden Zahlungsbilanzkrise, seien mit Präsident Erdogan nicht zu machen. „Die Gold- und Devisenreserven der Zentralbank haben sich zwar 2021 zwischenzeitlich etwas erholt, aber die Erfahrung zeigt, dass diese bei Devisenmarktinterventionen schnell dahinschmelzen“, sagte Meißner der F.A.Z.
Im Gegensatz zur Krise von vor drei Jahren sei der Saldo der türkischen Handelsbilanz zuletzt zwar positiv gewesen, jedoch berge die hohe Auslandsverschuldung, insbesondere der in amerikanischen Dollar denominierte Teil, erhebliche Risiken. In den kommenden beiden Jahren seien Staatsanleihen im Umfang von fast 50 Milliarden Dollar fällig. Deren Refinanzierung werde durch den jüngsten, beängstigenden Abwertungsschub der Lira deutlich verteuert, andererseits seien die Renditen türkischer Staatsanleihen seit Beginn der Lockerung der Geldpolitik im September 2021 deutlich angestiegen.
„Es ist an der politischen Führung der Türkei, die selbst verschuldete Krise zu beenden“, sagte Meißner. Die politische Führung müsse ökonomische Grundtatbestände anerkennen und nicht weiter negieren. Es sei damit zu rechnen, dass die Verantwortlichen der türkischen Notenbank zunächst weiter loyal den Willen des türkischen Staatspräsidenten umsetzten. „Damit droht ein weiterer Verfall der Lira, dem möglicherweise durch die Einführung von Devisenkontrollen Einhalt geboten werden soll.“
„Verzweiflungstat“ der türkischen Notenbank - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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