Am Silvestertag machte Chinas Regierung den wenigen verbliebenen ausländischen Fachkräften, deren Zahl in der Milliardennation auf ein paar hunderttausend geschätzt wird, ein verspätetes Weihnachtsgeschenk. Bis zuletzt waren die ausländischen Handelskammern davon ausgegangen, dass Peking seine Ankündigung ernst machen wird, Expats von 2022 an kräftig zur Kasse zu bitten. Danach hätten die Kosten für den Unterricht der Kinder an internationalen Privatschulen sowie die Wohnungsmiete, die zusammengerechnet bei einer vierköpfigen Familie schnell die Marke von 150 000 Euro im Jahr übersteigen können, anders als bisher versteuert werden müssen.
Weil die Mehrbelastung für viele Selbständige und Arbeitnehmer in der Folge mehrere zehntausend Euro im Jahr betragen hätte, hatten die Kammern befürchtet, dass in Städten wie Schanghai die in der Pandemie bereits stark gesunkene Zahl der Ausländer noch einmal um die Hälfte abnehmen könnte. Nun jedoch hat das Pekinger Finanzministerium die Steuerbefreiung in letzter Minute doch um zwei Jahre verlängert. Dass damit ein Fachkräfteexodus verhindert und in der Folge Wettbewerb und Innovationskraft im chinesischen Markt hochgehalten werde, sei „gut für China selbst“, sagt der Präsident der Europäischen Handelskammer, Jörg Wuttke.
Schwacher Konsum bereitet der Führung Kopfzterbrechen
Tatsächlich kann die Kehrtwende der Führung als Zeichen der Sorge über Chinas Wirtschaft gedeutet werden. Diese dürfte nicht nur unter einer Ausbreitung der Omikron-Virusvariante in China leiden, die dank der Abschottung des Landes dort bisher offiziell nur ein paar Mal aufgetreten ist. Die Furcht vor Lockdowns wie in der 13 Millionen Einwohner zählenden Stadt Xian hat in den gerade beendeten landesweiten Ferien dazu geführt, dass die Reisetätigkeit im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel abnahm.
Doch nicht nur der schwache Konsum bereitet der Führung Kopfzerbrechen. Angesichts der hohen Schulden im Staatssektor und des niedrigen Produktivitätswachstums dürften die Zeiten der hohen Wachstumsraten in der Volksrepublik nach Meinung vieler Beobachter ohnehin vorbei sein. Zwar gehen offiziell Bankökonomen im Schnitt davon aus, dass Chinas Wirtschaft 2022 im Jahresvergleich um rund 5 Prozent zulegt. Intern jedoch diskutieren internationale Unternehmensberatungen nach Informationen der F.A.Z. längst Szenarien, nach denen Chinas Wachstumsrate in den kommenden Jahren auf 2 bis 2,5 Prozent fallen könnte.
Das wäre zu wenig, um wie geplant in den kommenden 30 Jahren zu einer „voll entwickelten und reichen Nation“ aufzusteigen. Derzeit liegt das durchschnittliche Einkommen der Chinesen bei rund 10.000 Dollar, ein Sechstel des Werts in den USA. Der für die Wirtschaft zuständige Vize-Ministerpräsident Liu He hat gefordert, für Chinas Aufstieg müsse sich sein Wirtschaftsmodell weniger auf Investitionen und mehr auf „technologischen Innovationen“ stützen.
Dieses Ziel stößt jedoch auf politische Widersprüche. So hat Peking beim Versuch, durch harte Regulierung die private Internetindustrie staatlichen Zielen zu unterwerfen, den Börsenwert der Unternehmen seit Herbst 2020 um rund 1 Billion Dollar geschmälert. Der Fahrdienst Didi Chuxing muss sich nach nur einem halben Jahr wieder vom Aktienmarkt in New York zurückziehen. Am Dienstag kündigte die Regierung an, dass sich Betreiber von Online-Plattformen fortan einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen, falls sie an einer ausländischen Börse Kapital für ihre Expansion einsammeln wollen. Dies dürfte viele Unternehmen abschrecken, was sich negativ auf ihre Innovationskraft niederschlagen könnte. Schließlich komme die „Disziplin“, die ausländische Investoren vielen Unternehmen in China antrainierten, „nicht notwendigerweise aus ihrem eigenen System“, sagt der frühere Leiter des Asien-Geschäfts der Bank Morgan Stanley, Stephen Coach.
Chinas neues Sorgenjahr - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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