Frankfurt Im Bürogebäude in der Rüsterstraße 7–9 im Frankfurter Stadtteil Westend ist nichts, wie es mal war. Die Schriftzüge des dort ansässigen Unternehmens sind mit Metallplatten überdeckt. Die Eingangshalle ist verwaist. Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma überwachen den Zugang. Lediglich ein kleines Schild unter der Klingel verrät, wer hier seinen Sitz hat: Die VTB Bank Europe mit ihrem Deutschland-Ableger VTB Direktbank.
Die Europatochter der zweitgrößten russischen Bank VTB befindet sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor gut einem Monat im Ausnahmezustand. Mitarbeiter sorgen sich um ihren Arbeitsplatz und ihre Sicherheit, Kunden um ihr Geld.
Die Unsicherheit, wie es mit dem Institut weitergeht, ist groß. Vier von fünf Vorständen haben die Bank in der vergangenen Woche verlassen, wie mehrere mit dem Thema vertraute Personen dem Handelsblatt sagten. Vorstandschef Nicholas Hutt und sein Kollege Zac Fortune seien britische Staatsbürger und dürften wegen der Sanktionen nicht länger für VTB arbeiten.
Oxana Kozliouk und Oleg Osipenko seien beide ukrainische Staatsbürger und wollten aufgrund der russischen Invasion nicht mehr für die Bank tätig sein. Einzig verbleibendes Vorstandsmitglied ist somit aktuell Finanzchef Miro Zadro. VTB und VTB Europe wollten sich dazu nicht äußern.
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Das Handelsblatt hat in den vergangenen Tagen mit zahlreichen Personen gesprochen, die tiefe Einblicke in die VTB Europe haben. Sie zeichnen das Bild eines Instituts, das nach dem Kriegsausbruch vor dem Abgrund stand, mittlerweile jedoch wieder Halt gefunden hat. Auch die Finanzaufsicht sieht derzeit keine akute Gefahr mehr, dass die Bank zusammenbricht.
Mitarbeiter werden beleidigt, Gebäude beschmiert
Nach dem Kriegsausbruch am 24. Februar sind die Mitarbeiter in der Zentrale von VTB Europe schockiert über die Ereignisse, die sich in der gut 1600 Kilometer entfernten Ukraine abspielen. Kaum jemand in der Bank hat damit gerechnet, dass es so weit kommt.
Für die VTB Europe beginnen nun Tage der Ungewissheit. Europa und die USA verabschieden Sanktionen gegen Russland, die vor allem auf die Finanzbranche abzielen. Mehrere russische Geldhäuser sollen vom Finanznachrichtendienst Swift ausgeschlossen werden – darunter auch der Mutterkonzern VTB.
In Europa hat das Institut vor allem bei deutschen Privatanlegern viel Geld eingesammelt. Ende September beliefen sich die Kundeneinlagen auf 4,4 Milliarden Euro. Mittlerweile ist diese Summe jedoch deutlich gesunken.
Nach dem Kriegsausbruch haben viele Kunden ihre Konten leergeräumt, weil sie fürchten, dass die VTB Europe wegen der Sanktionen pleitegeht. Die Europatochter des größten russischen Geldhauses Sberbank machte die Europäische Zentralbank Ende Februar dicht.
Der VTB Europe bleibt ein solches Schicksal erspart. Nach einer Sonderprüfung am Sonntag, dem 27. Februar, entscheidet die Finanzaufsicht, dass die VTB Europe weiter bestehen darf. Neugeschäft wird dem Institut allerdings untersagt.
Lange freuen können sich die Mitarbeiter über den Fortbestand ihrer Bank jedoch nicht, denn es kommt immer häufiger zu Anfeindungen. Die Zentrale der VTB Europe wird mehrfach beschmiert. Mitarbeiter werden am Telefon beleidigt. Das Management stellt daraufhin einen Sicherheitsdienst ein und lässt die VTB-Schriftzüge an der Außenfassade abdecken.
Auch auf Kundenseite herrscht große Unsicherheit. Beim Deutschland-Ableger VTB Direktbank gibt es so viele Anfragen, dass das Institut überfordert ist und Anfang März das Kundentelefon abstellt. „Aufgrund der besonderen Situation erreichen uns zurzeit derart viele Anfragen, dass wir schon mit der Beantwortung sämtlicher Telefonanrufe kaum hinterherkommen“, erklärt die Bank. „Leider vergreifen sich auch zunehmend Anrufer im Tonfall.“
Viele Kunden sind vor allem deshalb frustriert, weil sie kein Geld von der VTB Europe auf Konten anderer Banken transferieren können. Das liegt jedoch nicht an der VTB, sondern daran, dass andere Institute aus Angst vor Sanktionsverstößen kein Geld mehr von der VTB annehmen.
Mittlerweile akzeptieren die meisten deutschen Institute Zahlungen von der VTB Europe, die anders als der Mutterkonzern VTB nicht von Swift ausgeschlossen wurde, wieder. Probleme gebe es aktuell vor allem noch bei der Deutschen Bank und ihrer Marke Postbank, heißt es in Finanzkreisen.
Die Deutsche Bank erklärte, es sei mit Einschränkungen im Zahlungsverkehr zu rechnen, wenn russische Banken involviert seien. „Die Deutsche Bank muss als international agierendes Unternehmen auch Sanktionen aus den USA und Großbritannien im Blick haben.“
VTB soll bald wieder telefonisch erreichbar sein
Die Finanzaufsicht Bafin hatte die VTB Europe schon im vergangenen Jahr genauer unter die Lupe genommen und dabei Mängel festgestellt. Im Oktober schickte die Behörde deshalb eine externe Firma in die Bank, die überwachen soll, dass das Geldhaus mehr zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung tut.
Nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs beorderte die Bafin Insidern zufolge zusätzlich mehrere Prüfer der Bundesbank in das Institut. Sie sollten die Situation der VTB Europe engmaschig kontrollieren und sicherstellen, dass keine Mittel zum Mutterkonzern nach Russland abfließen. „Die VTB ist aktuell vermutlich die am besten überwachte Bank in Europa“, sagt eine mit den Maßnahmen vertraute Person.
Die Bafin erklärte, sie ergreife bei der VTB Europe Maßnahmen, wenn die Faktenlage dies erfordere. „Wir begleiten die Bank eng und lassen uns täglich über die Mittelabflüsse berichten.“
>> Lesen Sie hier: Russische Bank VTB stellt ihren Europa-Ableger zum Verkauf
Die Frequenz des Austauschs zwischen der Finanzaufsicht und dem Vorstand der Bank habe mittlerweile jedoch nachgelassen, da die Lage bei der VTB Europe vergleichsweise stabil sei, sagten mehrere Insider. Die Bafin habe die Bank jedoch aufgefordert, ihr Kundentelefon baldmöglichst wieder in Betrieb zu nehmen.
Im Kern sei die VTB Europe eine solide Bank, berichtet eine Person, die sich bei dem Institut bestens auskennt. „Die Bank ist nur aufgrund der politischen Entwicklung in schwieriges Fahrwasser gekommen.“ Das habe zu einem Abfluss von Einlagen geführt, der sich jedoch inzwischen verlangsamt habe. „Die Bank schrumpft, aber geordnet.“
Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass viele Sparer ihr Geld auf Festgeldkonten eingezahlt haben, von denen sie Mittel nicht kurzfristig abziehen können. Zum anderen verfügte das Institut zu Beginn des Kriegs über relativ dicke Kapital- und Liquiditätspuffer.
Insider loben „umsichtiges Vorgehen“ der Bafin
Viele Beteiligte sind der Ansicht, dass die Bafin an der VTB Europe sehr eng dran ist und in dieser schwierigen Situation umsichtig agiert. Die deutsche Finanzaufsicht hebt sich damit vom Vorgehen der EZB bei der Europatochter des größten russischen Geldhauses Sberbank ab.
Die EZB hatte die in Wien angesiedelte Sberbank Europe und ihre Tochtergesellschaften in Kroatien und Slowenien Ende Februar als „ausfallend oder wahrscheinlich ausfallend“ eingestuft und dies mit hohen Mittelabflüssen begründet. Die Bank wurde daraufhin geschlossen, betroffene Privatkunden von der Einlagensicherung entschädigt.
Die VTB Europe will ein solches Szenario vermeiden. Da sie keine neuen Einlagen annehmen darf und auch das Firmenkundengeschäft mit Russland auf absehbare Zeit nicht möglich sein wird, gibt es für sie aus Sicht von Insidern im Wesentlichen zwei Optionen: Die Bank könnte ihre Einlagen und ihre ausgegebenen Kredite möglichst im Gleichklang herunterfahren, bis irgendwann kein Geschäft mehr übrig ist. Oder die VTB könnte ihre Europatochter an einen neuen Eigentümer verkaufen, unter dem das Institut dann vermutlich auch wieder Neugeschäft machen dürfte.
Finanzkreisen zufolge bemüht sich die VTB aktuell um eine Veräußerung der Europatochter – möglicherweise auch, um das Eigenkapital von gut einer Milliarden Euro zu retten, das bei einer Pleite der Tochter wohl weg wäre. Ob eine Veräußerung angesichts der Sanktionen gegen die VTB gelingen kann, ist jedoch ungewiss.
Mitarbeit: Yasmin Osman
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