Deutsche Unternehmen wappnen sich für die juristischen Folgen eines möglichen Importbanns auf russisches Öl und Gas wegen des Kriegs in der Ukraine. Die Lage ist unübersichtlich, die Irritation auf Unternehmensseite entsprechend groß: Kann ein Industriekonzern seinen Energieversorger verklagen, wenn Gaslieferungen ausbleiben? Wen zieht der Versorger heran, um seinerseits Schadensersatz geltend zu machen – seine russischen Vertragspartner? Und bleibt das Industrieunternehmen zur Lieferung an seinen Kunden verpflichtet, obwohl die Produktion wegen fehlenden Gases stockt?
»Es gibt derzeit enorm viele Anfragen von Mandanten aus dem Dax und MDax, manche Unternehmen müssen Tausende Einzelverträge von uns überprüfen lassen«, sagt Christoph Seibt, Partner der Kanzlei Freshfields und einer der angesehensten Wirtschaftsanwälte des Landes.
Die aktuelle Lage sei vergleichbar mit der während der Pandemie. Seinerzeit steckten vor allem die Automobilzulieferer in der Klemme: Wegen unterbrochener Lieferketten fehlten ihnen vor allem Halbleiter, um Elektronikkomponenten zu produzieren, auf deren Lieferung aber ihre Abnehmer, die Autohersteller, warteten.
Als Lehre aus der Pandemie hätten viele Unternehmen ihre Verträge in den vergangenen zwei Jahren um alle möglichen Eventualfälle, vor allem auch um geopolitische Risiken, erweitert und sogenannte Härtefall- oder erweiterte Force-majeure-Klauseln eingebaut. Sie sollen sicherstellen, dass Leistungspflichten in Fällen außerordentlicher Ereignisse nicht unter allen Umständen erfüllt werden müssen.
Der Brutus-Effekt
Aber jeder Fall sei anders, sagt Seibt. Dass deutsche Unternehmen ihre russischen Vertragspartner erfolgreich vor Schiedsgerichten verklagen, weil diese einseitig Verträge ändern oder kündigen, sei zwar häufig möglich, aber eine tatsächliche Zahlung wird dann praktisch schwer zu erreichen sein. Einseitige Vertragsänderungen der russischen Seite deckten die meisten Härtefallklauseln im Verhältnis von Versorgern zu Industrieunternehmen nicht ab. »Und was ist, wenn ein deutsches Unternehmen von sich aus russischen, nicht sanktionsbehafteten Vertragspartnern kündigt, weil der Vorstand den Krieg nicht indirekt mitfinanzieren will – muss er seinen eigenen Kunden dann Schadensersatz zahlen?«
Knifflig sei auch ansonsten die Vertragslage. Ob Härtefallklauseln greifen, wenn sich Liefermengen oder Preise ändern, sei nicht so einfach generell zu beantworten. Sogar das Kartellrecht sei berührt: Deutsche Gasversorger mit monopolartiger Stellung in ihrer Region könnten versucht sein, ihre Abnehmer aus der Industrie danach zu beliefern, wer den höchsten Preis zahlt. »Aber die Versorger dürfen bei marktbeherrschender Stellung mit knappen Ressourcen nicht in den Wettbewerb eingreifen«, sagt Seibt. Andererseits sind Versorger ihren Aktionären gegenüber im Grundsatz verpflichtet, möglichst viel Gewinn einzufahren. Aber immerhin darf das, was Seibt den »Brutus-Effekt« nennt, berücksichtigt werden: Profitmaximierung darf zurückstehen, um nicht kurzsichtig das Geschäftsnetzwerk zu schädigen.
Viele deutsche Unternehmen dürften sich darauf einigen, sich wie ehrbare Kaufleute untereinander zu verständigen nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid, Juristen sprechen von »Pain Partition Agreements«. »Die wollen sich auch nach dem Krieg noch in die Augen schauen können«, sagt Seibt.
Streitereien zwischen Unternehmen im Ukrainekrieg: »Die wollen sich auch nach dem Krieg noch in die Augen schauen können« - DER SPIEGEL
Read More
No comments:
Post a Comment