Eine neue Generation von Unternehmern widmet ihr Schaffen einem großen Ziel: Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel zu finden. Es macht Hoffnung, was da alles an Ideen entsteht.
Ende der Nullerjahre, der Markt für E-Autos war noch winzig und in der Nische, gingen zwei junge Männer durch die Straßen von Charlottenburg in Berlin und überlegten: Wo ist hier Strom? Strom, den man nutzen kann, ohne noch einmal zu graben? Die beiden Männer sahen Parkautomaten - doch von denen gab es zu wenige. Sie sahen Leuchtreklame, sprachen sogar mit dem Betreiber Ströer. Aber diese Werbeflächen standen oft an den falschen Orten und richtig viele waren es auch nicht. Dann sahen sie: Straßenlaternen. Und damit begann eine Idee, die Jahre später ein Baustein bei der Lösung eines großen Problems sein würde: Wie bekommen wir für all die E-Autos genug Ladesäulen in die Straßen?
Die beiden Männer waren Frank Pawlitschek und Knut Hechtfischer, 2008 gründeten sie Ubitricity, das 2021 von dem Energiekonzern Shell gekauft wurde. Ihre Idee klang simpel: Warum nicht jede Straßenlaterne zu einer Ladestation umrüsten - billiger, schneller und dazu mit einem "intelligenten Ladekabel", das sofort wisse, wer da lädt?
Pawlitschek und Hechtfischer informierten sich, wie und wo die Laternen angeschlossen sind, ob die Leistung reichen würde, denn in jeder Stadt ist das Netz ein anderes. "Wir haben probehalber den Prototyp unserer Ladesteckdose in eine Revisionsklappe für die Straßenlaternen vor unserem Büro in der Helmholtzstraße bauen lassen", erinnert sich Pawlitschek. Die Klappe mit Steckdose passte perfekt in den Mast. Sie steckten einen Audi an, bei dem sie den Verbrennungsmotor ausgebaut und einen E-Motor eingebaut hatten. Das Ganze war vor allem eine kleine Inszenierung, was möglich war. Ein Journalist machte ein Foto und schrieb einen Artikel über die "zweite Karriere der Laterne". "Mit diesem Foto begann etwas völlig Neues", sagt Pawlitschek. Ubitricity war als Laternenlade-Startup geboren.
Frank Pawlitschek ist nur einer von vielen Köpfen einer neuen Generation von Gründerinnen und Gründern, die, oft seit Jahren unter dem Radar und in Nischen, Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel suchen. Pioniere, die über Ideen brüten, Prototypen bauen, Geld einsammeln und Unternehmen starten.
Die grüne Gründerzeit
Wir erleben trotz der Rückschläge beim Klimaschutz eine grüne Gründerzeit. Überall in der Welt entstehen junge Firmen und wir werden sie brauchen. So wie Biontech mit dem Projekt "Lightspeed" einen Corona-Impfstoff fand, benötigen wir Tausende kleine Biontechs. Nicht immer wird es in Lichtgeschwindigkeit gehen - aber ähnlich wie bei Biontech gibt es ein großes Ziel: Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel finden. Klar, diese Firmen wollen auch Geld verdienen. Aber sie haben eine Mission. Sie forschen an neuartigen Energiespeichern, an Anlagen, um CO₂ aus der Luft zu filtern, sie züchten Fleisch im Labor, experimentieren mit neuartigen Baustoffen - oder eben an innovativen Ladestationen.
Das ist auch notwendig: 2050 muss die Hälfte der CO₂-Reduktion von Technologien kommen, die heute noch nicht marktreif sind, es aber bis 2030 sein müssen. 90 Milliarden Dollar, hat die Internationale Energieagentur (IEA) kalkuliert, müssten bis 2030 pro Jahr in Forschung und Entwicklung gesteckt werden. Derzeit sind es 25 Milliarden Dollar. Wir brauchen also noch eine Menge "Lightspeed"-Projekte.
Die Phase bis 2030 ist dabei entscheidend: Viele Pläne und Strategien von Staaten und Unternehmen laufen bis 2030, es ist eine Zeit, in der etwas passieren muss - danach wäre es zu spät. Deshalb stehen wir vor einem "grünen Jahrzehnt": Es sind Jahre, in denen unsere Wirtschaft ein neues Betriebssystem bekommt. Jahre, in denen wir Fabriken und Industrieanlagen umrüsten, Hochöfen für grünen Stahl bauen, in denen wir Solar- und Windparks in ganz neuen Dimensionen errichten, in denen wir Wasserstoff in ganz neuen Mengen produzieren müssen.
Das Auto wird das neue Smartphone
Frank Pawlitschek, der inzwischen am Hasso-Plattner-Institut arbeitet, ist nur einer von vielen der neuen Generation von Gründern. Und die Nutzung der Straßenlaterne ist nur der sichtbare Teil der Vision. Das Auto, erklärte mir Pawlitschek, müsse man künftig denken wie ein Mobiltelefon mit Vertrag. Egal, ob man zu Hause, bei der Arbeit oder an einem dritten Ort lade, eigentlich müsse man alle Daten und den Vertrag an und im Auto lassen, mit einem intelligenten Stromzähler, der im Auto oder Ladekabel enthalten sei - und wenn man diese Daten rund um die Uhr messe, könne man die große Batterie im Auto als Stromspeicher sogar kommerzialisieren. Das Auto, so die Idee, kommt als Hardware mit einem "Bundle-Service". "Das ist eigentlich der Clou von Ubitricity gewesen", erklärte Pawlitschek.
Das Beispiel Ubitricity ist aus mehreren Gründen lehrbuchhaft: Zum einen ist der Kern der Innovation kein Zaubertrank, sondern eine neue Denkweise. Viele denken nur an die Anzahl der Ladepunkte. Die Gründer von Ubitricity haben den Ladevorgang als solchen neu gedacht. Die zweite Lektion ist bitter, besonders für Deutschland: Die Regulierung war hier so mühsam, dass es ein Jahrzehnt dauerte, bis Ubitricity ein Standardmodell - mit dem schönen Namen "Heinz" - anbieten konnte, das seit Herbst 2021 verfügbar, aber viel teurer ist. Nachdem etwa in London schon Tausende Masten umgerüstet wurden.
Der 4,6-Billionen-Dollar-Markt
Rund um das Thema Laden sind unzählige junge Firmen entstanden, die versprechen, besser oder schneller aufzuladen, die Plattformen aufbauen, Lademanagement oder einzelne Produkte anbieten: Wallbox aus Spanien etwa, deren Produkt fast schon ein Gattungsbegriff wie Nutella und Tempo-Taschentuch geworden ist. Das von ehemaligen Tesla-Managern 2015 gegründete Unternehmen wurde 2021 mit 1,5 Milliarden Dollar bewertet.
Was auch zeigt, wie viel Geld inzwischen in den Sektor fließt. Climate-Tech-Startups konnten in den ersten neun Monaten 2021 laut einer Studie des Datenanbieters Dealroom weltweit 32 Milliarden Dollar einsammeln. Die am schnellsten wachsende Region war Europa, wo 8 Milliarden Dollar investiert wurden, gut sieben Mal so viel wie noch 2016. Das Geld in Europa wird von Litauen bis Spanien eingesetzt, große Treiber waren die Technologiezentren London, Stockholm und Paris, hieß es in dem Report. Europa sei ein "super vernetztes Technologie-Ökosystem".
Da ist zum Beispiel ChargeX. Die Firma will jeden Stellplatz zum Ladeplatz machen, mit Mehrfachsteckdosen. Ebenfalls in Deutschland hat sich Wirelane einen Namen gemacht. Das 2016 gegründete Münchner Unternehmen hat ein interessantes Segment entdeckt: Stellplätze für Firmen und Hotels. Allerdings sind in Deutschland Stromkonzerne wie Eon und EnBW mit eigenen Ladenetzen mächtige Player auf dem Markt. Daneben gibt es mit Ionity einen Anbieter, hinter dem Autohersteller mit tiefen Taschen stehen. Ionity konzentriert sich auf das Ladenetz vor allem an Autobahnen, inzwischen in 24 Ländern Europas.
Daneben gibt es eine Fülle von Schnelllade-Startups, sie heißen Enevate, Freewire oder EvGO und haben Systeme entwickelt, die in Aussicht stellen, Autos innerhalb von 5 bis 15 Minuten aufzuladen. Freewire spricht sogar von "Boost Chargern". In der Schweiz bietet das Startup Evtec "Special Fast Charging" innerhalb von wenigen Minuten an. Das französische Startup Electra will das Laden bis 2030 so einfach und schnell machen "wie Tanken an der Tankstelle".
Es geht vor allem ums Tempo
Man sieht, es fehlt nicht an Ideen und Gründern. Das Ladeproblem ist lösbar, es geht eher um das Ausbautempo und um geeignete Flächen für Ladestationen und -parks. Die Frage wird sein, welche Systeme und Plattformen sich durchsetzen werden, denn man kann als Autofahrer ja nicht Dutzende Kundenkarten haben.
Natürlich werden auf dem Markt für Ladeinfrastruktur wie auf anderen Climate-Tech-Märkten viele Anbieter verschwinden, viele Ideen als Prototypen sterben, werden Technologien sich nicht durchsetzen. Der Markt ist noch jung, er wird sich konsolidieren, aber er wird nicht mehr verschwinden, sondern wachsen.
"Das grüne Jahrzehnt": Wir brauchen 1000 Mal Biontech - n-tv NACHRICHTEN
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