Jan Bornemann, Verbraucherzentrale Hamburg:
»Hallo! Bitte setzen Sie sich!«
Kundin:
»1.000 Euro innerhalb von einem Jahr. Ich bin alleinstehend, ich bin viel bei meinen Eltern. Und das kann ich gar nicht nachvollziehen.«
Jan Bornemann, Verbraucherzentrale Hamburg:
»Das gucken wir uns noch mal an, das hängt wahrscheinlich mit dieser Preissteigerung zusammen. Also wenn der Preis sich verdreifacht haben sollte… Das gucke ich mir noch mal an, das rechnen wir noch mal aus.«
Kundin:
»Okay, weil die wollen mir im November 1500 Euro abziehen, nur für Miete und Nachzahlung. Das habe ich nicht mal.«
Preissteigerungen von mehr als 300 Prozent: Für Jan Bornemann von der Verbraucherzentrale Hamburg ist dies Alltag in seiner Beratung. Seit der Krieg in der Ukraine die Energiekosten in die Höhe schießen lässt, sind die Sprechstunden für Strom- und Gasverträge voll. Im 20-Minuten-Takt berät der Experte für Energierecht Verbraucherinnen und Verbraucher.
Jan Bornemann, Verbraucherzentrale Hamburg:
»Die Menschen kommen mit Preissteigerungen, teilweise mit erheblichen Preissteigerungen. Da geht es in erster Linie darum, zu schauen: Sind diese Preissteigerungen vertraglich überhaupt möglich? Es gibt immer wieder Fälle, wo das unzulässig ist. In vielen Fällen ist das rechtmäßig. Dann muss man schauen, gibt es eine Alternative? Wenn jetzt neu eingekauft wird, sind die Quellen einfach wesentlich teurer und das führt zu Preissteigerungen bei kleineren Anbietern, teilweise um das Fünf- bis Sechsfache, aber auch bei großen Anbietern ist es schon das Dreifache.«
Wer als Neukunde Mitte Oktober 2022 Gas bezieht, muss durchschnittlich 26 Cent für eine Kilowattstunde zahlen. Zum Vergleich: vor einem Jahr waren es durchschnittlich nur 7 Cent. Eine Steigerung von rund 271 Prozent. Um die Bürgerinnen und Bürger beim Gaspreis zu entlasten, hat eine Expertenkommission der Bundesregierung einen Vorschlag unterbreitet: In einem ersten Schritt soll der Staat die Abschlagszahlungen für Gas im Dezember komplett übernehmen. Als Basis dient der im September gezahlte Abschlag. In einem zweiten Schritt soll ab März 2023 bis Ende April 2024 – 80 Prozent des geschätzten Jahresverbrauchs an Gas auf zwölf Cent pro Kilowattstunde abgesenkt werden. Für den Rest der Verbrauchsmenge gilt der vertraglich vereinbarte Arbeitspreis. Diese Deckelung gilt auch für Fernwärme: Hier beträgt der Brutto-Preis 9,5 Cent pro Kilowattstunde.
Trotz dieser geplanten Entlastungen leiden besonders Geringverdiener extrem unter den hohen Energiekosten. Welche Tipps gibt der Experte den Verbraucherinnen und Verbrauchern in der aktuellen Situation?
Tipp 1 – Genau Prüfen
Jan Bornemann, Verbraucherzentrale Hamburg:
»Das Erste ist, dass man schaut: Was zahle ich denn aktuell, wie viel verbrauche ich, sich mal richtig damit zu beschäftigen, sich auch mal zu informieren, ob das alles so korrekt ist. Der erste Blick ist immer der Vertrag. Die Frage ist: Darf mein Versorger erhöhen? Und das darf er dann nicht, wenn ich zum Beispiel noch eine Preisgarantie habe. Und zum Zweiten muss mir die Preiserhöhung auch angekündigt worden sein. Das muss auch so geschehen, dass ich es wirklich wahrnehme. Also es geht nicht, dass ich eine E-Mail kriege und es auf Seite 3 dann ganz versteckt da steht. Es muss wirklich deutlich sein, es muss immer auf das Sonderkündigungsrecht hingewiesen werden. Und das kann sein, ganz häufig, in vielen Fällen ist die Preiserhöhung also auch schon aus formalen Gründen unzulässig.«
Tipp 2 - Beratung suchen
Jan Bornemann, Verbraucherzentrale Hamburg:
»Das ist ja häufig so, wenn ich so eine Abrechnung bekomme oder die Abschläge extrem hoch sind. Das lähmt erst mal und macht Angst. Und das ist wirklich dann so, dass man am besten sich wirklich noch mal die Verträge raussucht. Alles, was man hat und dann noch mal, am besten dann sich noch mal beraten, ist gerne bei uns, um noch mal zu gucken, weil in einigen Fällen ist es wirklich so, dass die Preiserhöhungen unrechtmäßig sind. Oder auch manchmal sind zwar die Preiserhöhungen an sich okay, aber trotzdem sind die Abschläge viel zu hoch berechnet. Man muss ja auch mal gucken, wie hoch sein Verbrauch ist. Es lohnt sich auf jeden Fall und man muss versuchen, aus dieser Lähmung rauszukommen und einfach schauen, aktiv zu werden. Weil dann kann man auch gucken: Gibt es Hilfsmöglichkeiten? Was kann man tun?«
Tipp 3 – Anspruch auf Sozialleistungen?
Jan Bornemann, Verbraucherzentrale Hamburg:
»In ganz vielen Fällen, dadurch dass die Abschläge sich so dramatisch erhöht haben, haben viele Menschen jetzt auch einen Anspruch auf Sozialleistungen, die vorher gar nicht mit drin waren. Aber es ist halt ein Unterschied, ob ich einen Abschlag von 150 Euro zahle oder von 600 Euro. Das kann das komplett schon ändern. Es gibt Möglichkeiten, auch Wohngeld zu beantragen. Was einen erschüttert, ist, dass jetzt auch die, wie man so schön sagt, die Mittelschicht einfach jetzt betroffen ist. Also Menschen, die hier vom Jahr gekommen sind, zwar natürlich auch Fragen und Probleme hatten, aber keine wirtschaftlichen Existenznöte. Und jetzt kommen Menschen, die einfach sagen: Wir wissen nicht, wie wir das machen, oder wir müssen halt erheblich unseren Konsum verringern, dass ein Urlaub wegfällt oder so, diese Dinge, das merkt man also, was das für große Auswirkungen auch insgesamt auf die Volkswirtschaft hat.«
Zurück zur Verbraucherin: Jan Bornemann hat die Abrechnung der Kundin überflogen. Sein Verdacht hat sich vorerst bestätigt. Die hohe Forderung liegt am stark gestiegenen Gaspreis.
Jan Bornemann, Verbraucherzentrale Hamburg:
»Ich gucke mir das nochmal in Ruhe an und dann melde ich mich nochmal zusätzlich bei Ihnen. So dann haben wir es.«
Kundin:
»Klasse! Super! Vielen Dank, Herr Bornemann!«
Tipps für den Gasabschlag: »In vielen Fällen ist die Preiserhöhung aus formalen Gründen unzulässig« - DER SPIEGEL
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