Deutschlands Elektroindustrie schwächelt. Lange Zeit schien die Branche immun gegen alle negativen Einflussfaktoren, sei es die weltweite Konjunkturschwäche oder größer werdende Standortnachteile von hohen Energiepreisen bis hin zur überbordenden Bürokratie.
Im April hat der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) sogar noch die Jahresprognose erhöht angesichts anhaltend guter Geschäfte. Nun aber ändern sich die Vorzeichen für einen der größten Bereiche im verarbeitenden Gewerbe.
Bei den jüngsten Konjunkturzahlen jedenfalls dominieren die Minuszeichen. Der Auftragseingang zum Beispiel – also das Geschäft von morgen – lag im September 5,3 Prozent niedriger als im Vorjahresmonat, meldet der ZVEI „Unter Berücksichtigung einer nachträglichen deutlichen Abwärtsrevision der August-Daten durch das Statistische Bundesamt war dies der dritte Bestellrückgang in Folge“, berichtet Andreas Gontermann, der Chefvolkswirt des Branchenverbandes.
Und die Dimension in diesen drei Monaten war dabei jeweils so groß, dass die Bestellungen nun auch für das Gesamtjahr im Minus liegen: 1,3 Prozent weniger Auftragsvolumen verzeichnen die Unternehmen im Zeitraum Januar bis September.
Rückläufig sind mittlerweile aber nicht nur die Aufträge. Im September lag auch der nominale Umsatz unter dem Vergleichswert des Vorjahres. Einnahmen in Höhe von 20,5 Milliarden Euro bedeuten ein Minus von vier Prozent, wie der ZVEI meldet.
„Das war der erste Umsatzrückgang im laufenden Jahr – allerdings vor dem Hintergrund eines 2022er-Vergleichsmonats, der eine zweistellige Wachstumsrate vorzuweisen hatte“, relativiert Gontermann. Und tatsächlich ist die Lage bei den Umsätzen deutlich anders als bei den Bestellungen, ist doch von Januar bis September immer noch ein Plus von 9,4 Prozent auf knapp 180 Milliarden Euro aufgelaufen.
Gleichwohl bleibt Gontermann alarmiert. Denn das Geschäftsklima sinkt Monat für Monat, zuletzt auch im Oktober, wie eine Verbandsumfrage zeigt. „Derzeit verschieben sich die Herausforderungen weiter von der Angebots- auf die Nachfrageseite“, erklärt der Experte mit Verweis auf die Befragung.
Zu wenige Aufträge statt Fachkräftemangel
Produktionshemmnis Nummer eins für die Unternehmen seien danach zu wenige Aufträge und nicht mehr der Mangel an Material und/oder Arbeits- und Fachkräften. Wohl auch, weil fehlende Bestellungen in den meisten Bereichen der Elektroindustrie deutlich schneller in der Produktion durchschlagen als etwa im Maschinenbau, wo die Auftragsreichweite üblicherweise etliche Monate länger ist, macht es doch einen Unterschied, ob ein Bauteil gefertigt wird oder eine Maschine.
Problematisch für die Branche ist derzeit zum einen das Exportgeschäft, das für mehr als 80 Prozent des Geschäftsvolumens steht. Beispiel Auftragseingang: Während die Bestellungen aus dem Inland in den ersten drei Quartalen um 5,3 Prozent gestiegen sind, gaben die Auslandsorder um 6,5 Prozent nach.
Das Minus in der Eurozone fiel dabei doppelt so hoch aus wie die Rückgänge in Drittländern. Zum anderen wirkt sich derzeit aus, dass ausgerechnet zwei besonders große Branchensegmente Konjunkturprobleme haben – nämlich Industrieautomation und Fabrikausstattung sowie der Bau mit Geschäftsbereichen wie Elektroinstallationen, Gebäudeautomatisierung oder Smart Home.
Beim größten Umsatzbringer Fabrikausstattung schlägt dabei durch, dass der Maschinenbau seit mittlerweile einem Jahr Monat für Monat rückläufige Auftragszahlen verzeichnet. „Das trifft am Ende auch uns, werden doch viele unserer Komponenten in Maschinen verbaut“, sagt Wolfgang Weber, der Vorsitzende der Geschäftsführung des ZVEI, im WELT-Gespräch.
Hinzu komme, dass viele Kunden mittlerweile zu gut gefüllte Lager haben. „Als es im Zuge der Corona-Pandemie große Lieferkettenprobleme gab, haben viele Kunden vorsorglich mehr bestellt als nötig und sich Teile in großer Menge auf Lager gelegt. Diese Vorräte müssen nun wieder abgebaut werden“, erklärt Weber.
Es könne allerdings noch dauern, bis dieser Lagereffekt wieder verschwindet. „Das vierte Quartal dürfte schwierig bleiben. Das gehört aktuell zur Wahrheit dazu.“ Kurzarbeit könne daher in den kommenden Monaten wieder ein Thema in der Branche mit ihren aktuell rund 900.000 Beschäftigten im Inland werden, prognostiziert Weber.
Zumal der Export derzeit als Stütze wegfällt, wie die jüngsten Außenhandelsdaten des Statistischen Bundesamtes gezeigt haben. Und Besserung scheint vorerst nicht in Sicht, insbesondere bei den Ausfuhren nach China. Viele Jahre war die Volksrepublik der mit Abstand wichtigste Handelspartner für die Unternehmen der deutschen Elektroindustrie.
„Jetzt liegen China und die USA gleichauf“, berichtet Verbandschef Weber. „Denn die USA haben durch den Inflation Reduction Act stark zugelegt und China gleichzeitig stark verloren.“
Elektrobranche findet Strompreisvergünstigung gut
Doch trotz der zunehmend angespannten Situation hat Weber seinen Optimismus nicht verloren. „Die September-Zahlen haben wir zwar so nicht erwartet, 2024 kann es bei einem weltweiten Konjunkturaufschwung aber auch für uns wieder bergauf gehen.“
Denn die Elektroindustrie bediene die großen Megatrends von der Elektrifizierung und der Digitalisierung bis hin zur Automation und der Energiewende. Tatsächlich ist die Energietechnik mit Themen wie Netzausbau, Offshore-Anbindung, Kabeln und Co. aktuell eine große Stütze für die Branche.
„Die Firmen in diesen Bereichen sind teils über Monate hinweg ausgebucht“, weiß Weber. Und auch die Elektronik mit zum Beispiel Halbleitern, Leiterplatten und anderen Bauelementen für den Chip-Markt liege weiter im Plus.
Einen Effekt verspricht sich der ZVEI zudem auch von der geplanten Stromsteuer-Absenkung der Bundesregierung. „Damit wird die völlig aus der Zeit gefallene und für den Klimaschutz widersinnige generelle Belastung von Strom gemindert“, sagt Geschäftsführer Weber. Das sei die richtige Entscheidung zur Konjunkturunterstützung und für Klimaschutz durch Elektrifizierung.
„Die Bundesregierung setzt dringende nötige Impulse für diese beiden wichtigen Ziele. So wird Energie für die Breite der Industrie endlich wieder etwas günstiger“ so Weber weiter.
Die Nutzung von zunehmend erneuerbar erzeugtem Strom in den Unternehmen gewinne dadurch an Attraktivität gegenüber fossilen Brennstoffen und der Wandel zu einer elektrifizierten und dadurch CO₂-armen und effizienten Energieversorgung erhalte einen längst überfälligen Schub. Die Maßnahme stärke die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.
Elektroindustrie: Minuszeichen dominieren – Jetzt trifft es die letzte erfolgreiche Schlüsselbranche - WELT
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