Damit die Energiewende gelingt, müssen nicht nur Windkraft und Fotovoltaik schnell ausgebaut werden. Essenziell sind auch Speicher, die Strom aufnehmen, wenn zu viel produziert wird, und diesen bei Dunkelflauten zur Verfügung stellen. Die Techniken dazu sind bekannt. Bisher ist aber zu wenig passiert.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass die beste Art, fossile Brennstoffe zu ersetzen, der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien ist. Das gilt selbst dann, wenn Forschende Atomkraft als vorübergehende oder zusätzliche Alternative betrachten. Bei den Erneuerbaren geht es in erster Linie um Windkraft und Fotovoltaik.
Laut Umweltbundesamt stieg die installierte Leistung von Windenergie an Land und auf See im vergangenen Jahr um 2452 Megawatt (MW), bei Fotovoltaik waren es sogar 7441 MW. Bei Wasserkraft sind die Möglichkeiten weitgehend erschöpft, auch Biomasse und Geothermie stagnieren weitgehend.
Ehrgeizige Ausbauziele
In diesem Jahr ging es bei der Solarenergie noch schneller voran: Jüngsten Zahlen der Bundesregierung nach wurden bereits in den ersten drei Quartalen 10.000 MW Fotovoltaik-Leistung zugebaut, bei der Windenergie waren es rund 1700 MW. Insgesamt betrug der Anteil an der Stromerzeugung aller erneuerbaren Energien im dritten Quartal 2023 knapp 60 Prozent. Das sind 8,1 Prozent mehr als vor einem Jahr.
Beim Brutto-Stromverbrauch betrug der Anteil von Windkraft, Fotovoltaik und Co im ersten Halbjahr 52 Prozent, bis 2030 sollen es mindestens 80 Prozent sein. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Laut Projektionsbericht 2023 für Deutschland ist es aber erreichbar, wenn der zuletzt lahmende Ausbau der Windenergie wieder deutlich an Fahrt aufnehmen würde.
Stromverbrauch steigt durch Energiewende enorm
Auch wenn das gelingt, steigt gleichzeitig der Brutto-Stromverbrauch der Bundesrepublik. 2022 sank er zwar mit 546,5 Terawattstunden (TWh) auf das Niveau von 1990, was das Umweltbundesamt unter anderem durch Sparbemühungen aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zurückführt. Dem Projektionsbericht nach ändert sich das aber rapide. Haupttreiber für den Anstieg des Stromverbrauches sind Prognosen zufolge der Verkehrssektor, die elektrischen Wärmepumpen in Gebäuden und Wärmenetzen, die Erzeugung von Elektrolyse-Wasserstoff sowie die Produktion von Batterien.
Laut Projektionsbericht wird der Bruttoverbrauch 2030 mindestens rund 660 TWh betragen, 2050 über 1000 TWh. Bei energischeren Maßnahmen zum Klimaschutz könnten es sogar 712 und 1150 TWh sein. Demgegenüber stehen prognostizierte Bruttostromerzeugungen der Erneuerbaren bis 2030 von 560 oder 571 TW beziehungsweise 940 oder 1009 TW bis 2050. Ganz allein schaffen es Windkraft und andere Erneuerbare also auf absehbare Zeit nicht. Die Bundesregierung geht von einem Bedarf 2030 in Höhe von 750 TWh aus, dem 600 TWh erzeugte erneuerbare Energien gegenüberstehen.
Dazu schreibt das Umweltbundesamt: "Es ist zu bemerken, dass auch in den Jahren 2040, 2045 und 2050 noch fossile Stromerzeugung stattfindet. Dabei handelt es sich zum einen um Emissionen aus der Verstromung fossilen Abfalls. Zudem werden weiterhin rund 40 bis 47 Terawattstunden (TWh) Strom in Erdgaskraftwerken erzeugt."
Ohne Backup-Kraftwerke geht’s nicht
Ein größeres Problem ist, dass nur wenige erneuerbare Energien ständig zur Verfügung stehen - oder zumindest dann, wenn sie benötigt werden. Im Extremfall herrscht eine sogenannte Dunkelflaute, bei der die Sonne nicht scheint und kein Wind weht. Die Bundesregierung plant, dies einerseits durch Backup-Kraftwerke auszugleichen.
Das werden überwiegend bestehende Erdgas-Kraftwerke sein, es könnten aber auch noch zu errichtende Wasserstoff-, Biogas- und Methangasanlagen eingesetzt werden. Gehen die noch betriebenen Kohlekraftwerke wie geplant im kommenden Jahr vom Netz, fallen diese künftig als Backup-Lösung aus. Das Science Media Center (SMC) hat errechnet, dass bis 2030 im Inland installierte, steuerbare Kraftwerksleistungen in Höhe von 53,9 Gigawatt (GW) zur Verfügung stehen könnten.
Modellierungen des SMC haben außerdem ergeben, dass es zwar vermutlich gelingen wird, die Kohlekraftwerke zu ersetzen. Die inländische Produktion wird den Backup-Leistungsbedarf aber voraussichtlich nicht decken können. Das heißt, es müsste in Spitzen Strom aus dem Ausland gekauft werden. Maximal könnten zehn bis 15 Prozent durch den europäischen Ausgleich von erneuerbaren Energien über die Netze gedeckt werden, schätzt Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der Technischen Universität Dortmund.
Flexible Verbraucher helfen
Wie groß die Lücke ist, hängt unter anderem auch von den sogenannten Flexibilitäten ab. Das sind im Prinzip alle Verbraucher, die dann betrieben werden können, wenn Strom zur Verfügung steht. Das heißt, sie müssen für eine kurze Zeit ihren Verbrauch drosseln, abschalten oder steigern können, ohne dass ihre Aufgabe beeinträchtigt würde.
Das sind unter anderem Wärmepumpen mit Speichern, Industrieprozesse, Batterien, aber auch Elektrofahrzeuge. Besonders interessant wird es, wenn viele E-Autos unterwegs sind. "Gelingt es, diese direkt in die Strommärkte zu integrieren – möglichst sogar mit einer Rückspeisefähigkeit, dem sogenannten Vehicle-2-Grid (V2G) – dann könnte Nachfrage-Flexibilisierung einen beträchtlichen Teil der Back-up-Kapazitäten ersetzen", sagt Patrick Jochem. Er leitet die Energiesystemanalyse am Institut für Vernetzte Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.
E-Autos oder Wärmepumpen mit Speichern sind Kurzzeitspeicher, aber die stark schwankenden Erträge der Erneuerbaren erfordern vor allem auch Langzeitspeicher. Sie können an Tagen mit viel Sonnenschein und/oder viel Wind überschüssig produzierte Energie für Wochen oder Monate aufnehmen und sie wieder abgeben, wenn zu wenig erzeugt wird.
Pumpspeicherkraftwerke essenziell
Aktuell übernehmen mit einem Anteil von etwa 90 Prozent laut dem Bundesverband Energiespeichersysteme in Deutschland fast ausschließlich Pumpspeicher-Kraftwerke diese Aufgabe. Dabei wird mit überschüssiger Energie Wasser in einen höher gelegenen Speicher gepumpt. Wird Energie benötigt, fließt es durch Turbinen zurück und erzeugt dabei Strom.
Rund 30 Pumpspeicherkraftwerke sind derzeit in Deutschland in Betrieb. Laut Bundesnetzagentur hatten sie im vergangenen Jahr gemeinsam eine Leistung von 6,34 GW, womit sie dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zufolge bis zu 40 Gigawattstunden (GWh) zwischenspeichern können. Zusätzlich speisten luxemburgische und österreichische Pumpspeicherkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 3.600 MW Strom direkt ins deutsche Netz ein, schreibt Energie.de.
Ausbau stößt an Grenzen
Ein Ausbau der Kapazitäten von Pumpspeicherkraftwerken ist nur begrenzt möglich, da sie nur dort errichtet werden können, wo die Landschaft den notwendigen Höhenunterschied bietet. Außerdem benötigen sie viel Platz und stellen einen erheblichen Eingriff in die Natur dar. Der BDEW hält durch Modernisierung, Erweiterungen/Ausbau und Neubau immerhin noch zusätzliche 4 bis 8 GW für möglich.
Neue Pumpspeicherkraftwerke scheitern aber offenbar auch an den geltenden Bestimmungen, die sie unrentabel machen. Zuletzt wurde eine neue Anlage vor rund 20 Jahren in Betrieb genommen. Das ZDF hat ermittelt, dass fast ein Dutzend Kraftwerke in der Planungsphase gestoppt wurde. Die Bundesnetzagentur erwartet hier auch bis 2026 nur einen Zubau von 146 MW.
Neue Batterien braucht das Land
Ein großes Potenzial haben Batterie-Großspeicher. Laut Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE haben sie in Deutschland derzeit insgesamt eine Leistung von 7,38 GW und bieten eine Kapazität von 10,88 GWh an. Für 2023 hat das Institut einen Ausbau von 3,28 GW ermittelt.
Eine Studie des Instituts geht davon aus, dass ein Speicher in einer Stunde komplett be- oder entladen werden kann. Ein Speicher mit 1 GW Leistung weist folglich eine Kapazität von 1 GWh auf. Nach dieser Rechnung sind laut Studie für die Energiewende bis 2030 etwa 100 GWh und bis 2045 knapp 180 GWh an stationären Batteriespeichern notwendig.
Ein weiteres Ergebnis der Forschungsarbeit ist, dass es sinnvoll ist, Batteriespeicher an ehemaligen Standorten von fossilen oder Atomkraftwerken zu installieren, denn dort könne die bereits verfügbare Anschlussleistung genutzt werden. "Bis zu 65 Prozent des bis 2030 in Deutschland benötigten Speicherbedarfs könnten damit gedeckt werden", so die Studie.
Bisher sind vorwiegend Systeme im Einsatz, die wie in Notebooks, Smartphones oder E-Autos Lithium-Ionen-Akkus verwenden. Es kommen zunehmend aber auch andere Techniken zum Einsatz. Eine Alternative sind unter anderem Lithium-Metall-Akkus, bei denen es kürzlich zu einem wichtigen Durchbruch gekommen sein könnte.
Australische Forschende haben festgestellt, dass durch den Einsatz von Schwefel statt des üblicherweise verwendeten Kobalts oder Mangans der Lithium-Verbrauch deutlich gesenkt wird und die Akkus haltbarer sind. Gleichzeitig sollen sie mehr Energie liefern und nur halb so viel wie Lithium-Ionen-Batterien kosten.
Alternativen ohne Lithium
Große Möglichkeiten haben sogenannte Redox-Flow-Batterien, bei denen Energie in zwei flüssigen Elektrolyten gespeichert wird, die über eine Protonen-Austauscher-Membran verbunden sind. Sie haben mehrere Vorteile. Laut einer Zusammenfassung des Fraunhofer-Instituts haben sie eine hohe Effizienz und sind wesentlich langlebiger als herkömmliche Batterien. Außerdem kann man bei ihnen Kapazität und Leistung getrennt skalieren.
Speziell in China kommen auch schon erfolgreich Natrium-Ionen Akkus zum Einsatz. Sie haben den großen Vorzug, ohne Lithium auszukommen, das durch die große Nachfrage teuer geworden und zudem explosiv ist. Natrium steht auch in Deutschland nahezu unbegrenzt zur Verfügung, da man es unter anderem aus Kochsalz (Natriumchlorid) gewinnen kann.
Auch die benötigten amorphen Kohlenstoffe, die in Natrium-Batterien Grafit ersetzen, sind einfach herzustellen, unter anderem aus Nussschalen oder Bier-Treber. Damit sei man "unabhängig von strategischen, ja kritischen Importen", sagt Michael Stelter vom Fraunhofer IKTS. Die weiteren eingesetzten Rohstoffe wie der Farbstoff "Preußisch Weiß" (Eisen, Kohlenstoff und Stickstoff) sind ebenfalls hierzulande in großen Mengen zu finden. Schließlich sind Natrium-Batterien auch noch umweltfreundlicher, da die Zellen kein Kobalt und Nickel enthalten.
Schleppender Elektrolyse-Ausbau
Die Bundesregierung favorisiert derzeit die Nutzung überschüssiger erneuerbarer Energie zur Herstellung von Wasserstoff, da sie zur "Nationalen Wasserstoffstrategie" passt. Dafür sind bis 2030 der Aufbau von 10 GW Elektrolysekapazität geplant, um 30 bis 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs zu decken. Allerdings hat das SMC errechnet, dass der überschüssige erneuerbar erzeugte Strom allein nicht für einen rentablen Betrieb der Anlagen ausreichen würde.
Außerdem zeichnet sich ab, dass der Elektrolyse-Ausbau zu schleppend vorangeht. Aktuell ist nur 1 Prozent der geplanten Leistung installiert, laut dem "Wasserstoff-Kompass" der Bundesregierung 130,9 MW. "
"Andererseits führt die grüne Wasserstoffproduktion zu einem erhöhten Strombedarf, sodass erneuerbare Energien noch stärker ausgebaut werden müssen", schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zwischen 48 und 53 Gigawatt Fotovoltaik-Leistung müssten laut einer Studie des Instituts zugebaut werden. Dies seien rund 25 Prozent mehr als in einem Vergleichsszenario ohne heimische Wasserstoffproduktion.
Teure Wasserstoff-Infrastruktur
Das DIW empfiehlt die Speicherung in Kavernen nahe dem Produktionsort und möglichst auch den Verbrauchern des Wasserstoffs. Ansonsten sei ein leistungsfähiges Netz notwendig. Unterirdische Kavernen, in denen noch Erdgas gelagert wird, bieten sich als Speicher an. "Spektrum.de" weist jedoch darauf hin, dass sie nur 32 TWh Wasserstoffgas aufnehmen könnten, was eindeutig zu wenig sei.
Eine Umrüstung ist obendrein teuer, eine Studie der Initiative Energien Speichern (INES) geht von 1,1 Milliarden Euro aus. Der nötige Neubau von Kavernen würde sogar mehr als 11 Milliarden Euro kosten.
Problematisch ist auch, dass die Nutzung von Wasserstoff als Stromspeicher ineffizient ist. Bei der Rückverstromung erhält man nur ein Drittel der ursprünglich eingesetzten Energie. Es ist also sinnvoller, Wasserstoff als Brennstoff einzusetzen, unter anderem in der chemischen Industrie und in der Schifffahrt.
Weitere clevere Ideen für Energiespeicher
Schließlich gibt es neben Pumpspeicherkraftwerken, Batterien aller Art und Elektrolyse noch weitere interessante Methoden, Strom langfristig zu speichern. Vielversprechend sind Hub- oder Schwerkraftspeicher.
Das International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Österreich erforscht Methoden, um in ausgedienten Bergwerksschächten Sand durch Turbinen fallen zu lassen, der dann über eine Art Aufzug wieder nach oben geholt wird.
Das Schweizer Unternehmen Energy Vault gehört zu den Pionieren, die schlicht große Gewichte anheben und absenken. Die Firma hat bereits im chinesischen Rudang ein Hubspeicher-System mit 25 MW neben einem Windpark installiert.
Geforscht wird außerdem an Druckluft-Speichern, elektrothermischen Energiespeichern oder der Wärmespeicherung in Salzschmelzen. Ideen gibt es genug. Sie umzusetzen und in einem Stromnetz der Zukunft effektiv und effizient zu steuern ist eine große Herausforderung, aber machbar - wenn Deutschland Gas gibt.
Was tun ohne Wind und Sonne?: Ohne neue Speicher stottert die Energiewende - n-tv.de - n-tv NACHRICHTEN
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