Auf der IAA 2019 saß Angela Merkel drin, da war‘s noch ein Showcar. Jetzt sitze ich mit Daimler-Chef Ola Källenius (52) im EQS. In Immendingen auf dem riesigen Mercedes-Testgelände.
„Der Chef denkt, das Auto lenkt“, wollte ich eigentlich schreiben. Stimmt aber nicht, der EQS übernimmt auch das Denken. Wir reden, gucken überall hin, jedenfalls selten auf die Straße. Wir fahren Level 3 autonom, das erste Interview ohne Hände am Lenkrad, ohne Füße auf den Pedalen – bei voller Fahrt.
Der EQS ist der modernste Mercedes, die elektrische S-Klasse. 108 kWh-Batterie im Boden, gewaltig Platz, 770 km Reichweite nach WLTP, realistische 500 km, 6,2 Sekunden auf 100 km/h, 210 km/h Spitze (stimmt, habe ich ausprobiert).
Källenius aktiviert den „Drive Pilot“ mit einer Taste am Lenkrad, um uns herum simulieren andere Autos den „normalen Verkehr“. Level 3 heißt, bis 60 km/h fährt das Auto selbstständig, bremst, hält Abstand, stoppt, fährt wieder an, überholt, schert ein. Es ist auf sämtlichen Autobahnen noch in diesem Jahr in Deutschland erlaubt.
BILD: Lahme 60 km/h auf der Autobahn, was bringt das?
Ola Källenius: „Überlegen Sie mal, wie oft Sie im Stau stehen, beim Pendeln, im Berufsverkehr. Da könnte ein automatisiert fahrendes Auto mit künstlicher Intelligenz für sehr viel Entspannung sorgen.“
Was ist der Unterschied zum „Autopilot“ von Tesla?
„Unser Drive Pilot wird noch in diesem Jahr beginnend in der neuen S-Klasse und ab kommendem Jahr im EQS das erste echte Level 3 System sein, bei dem der Fahrer sich nach Aktivierung von der Fahraufgabe abwenden und zum Beispiel E-Mails schreiben oder im Internet surfen kann.“
Vor ein paar Jahren glaubte man, wir alle würden sehr bald autonom fahren, mit den Kindern hinten Uno spielen. Warum ist es so schwer?
„Es genügt nicht, dass die Technik 99 Prozent sicher ist. Sie muss sich mindestens so sicher verhalten, wie ein verantwortungsbewusster, vorbildlicher Fahrer. Dies ist der Vergleichsmaßstab, der auch von der Ethik-Kommission der Bundesregierung vorgegeben ist. Einen Unfall würde man einem automatisiert fahrenden Auto noch viel weniger verzeihen als einem Menschen. Deshalb ist unser System mit Kamera, Laser und Radaren dreifach abgesichert. Wissen Sie, wir beide sehen da vorne auf der Autobahn ein Hindernis: Unser Gehirn entscheidet dann: Drüberfahren, es ist nur eine Tüte. Die künstliche Intelligenz muss hier im Zweifel noch besser und schneller reagieren als wir.“
Viele sagen, ein E-Auto sei gar nicht nachhaltig. Wegen der Rohstoffe. Aber sind 18 Kilogramm auf Lebenszeit in einem Akku nicht besser als 10 000 oder 20 000 Liter Benzin oder Diesel zu verfeuern?
„Ja – und ich würde es noch erweitern. Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, dann meinen wir CO₂. Das Problem müssen wir JETZT angehen. Die Menschen wollen weiter mobil sein, wir wollen Autos bauen und verkaufen. Die Lösung heute heißt: Elektroauto. Wenn ich mir die Batteriezusammensetzung vom ersten E-Smart ansehe: Nickel, Mangan, Kobalt im Anteil 1:1:1. Das war damals. Heute sind wir bei 8:1:1, als nächstes kommt 9:0,5:0,5. Es ist in unserem Eigeninteresse, den Ressourceneinsatz zu reduzieren. 90 Prozent einer Batterie können künftig recycelt werden – auch an den restlichen zehn Prozent arbeiten wir weiter.“
Also ist die Transformation zum E alternativlos?
„Pkw auf Wasserstoff umzustellen ist noch etwas weiter weg. Wir setzen auf Elektro, auch bei den kleineren Nutzfahrzeugen bzw. LKW für die Stadt. Das geht jetzt, die Technik ist da. Aber macht es Sinn, eine Sieben-Tonnen-Batterie unter einen Langstrecken-Laster zu klemmen? Nein. Da ist Wasserstoff die bessere Lösung. Volvo, eigentlich einer unserer Konkurrenten im Nutzfahrzeugbereich, ist hier unser Partner, um gemeinsam schneller voranzukommen. Außerdem brauchen wir grünen Wasserstoff, den es heute noch nicht in Mengen gibt. Dazu kooperieren wir mit Shell.“
„Wir müssen die Energiedichte der Batterien verbessern“
Was ist jetzt am dringlichsten?
„Wir müssen die Energiedichte der Batterien verbessern und die Kosten reduzieren, denn die Batterie ist das Teuerste an so einem Auto. Und wir brauchen eine omnipräsente Ladeinfrastruktur. Wenn man diese hat, dann braucht man zum Einstieg auch keine so große Batterie. Eine weitere wichtige Frage ist: Wie könnten wir ein Auto wie dieses überwiegend aus recycelten Materialien bauen? Heute sind wir noch nicht ganz so weit. Im Moment sind es etwa 30 Prozent. Der Anteil muss steigen, wir brauchen den Kreislauf.“
Jetzt müssen Sie nur noch die Halbleiter selbst bauen…
„Ob wir das selbst müssen, da bin ich gar nicht sicher. Wir brauchen superrobuste Halbleiter die lange, lange halten müssen. Wir haben 300 verschiedene, spezialisierte Arten von Halbleitern in einem Auto wie dem EQS. Es wäre illusorisch zu glauben, dass wir das alles selbst machen könnten.“
Dann machen wir uns aber wieder abhängig…
„Wir sind seit hunderten Jahren weltweit voneinander abhängig, ob es Kakao oder Halbleiter sind, wir leben in einer globalen Welt mit globalen Lieferketten. Richtig ist: Wir dürfen technologisch in Europa nicht abgehängt werden. Die Maschinen, die weltweit Halbleiter bauen, sind aus Europa. Wir haben das Know-How, und der Aufbau von Produktionskapazitäten in Europa macht Sinn. Gleichzeitig wäre es ökonomisch nicht sinnvoll, Europa zu einer autarken Insel ohne Welthandel zu machen. Nicht nur im EQS stecken Hightech-Teile aus der ganzen Welt. Und das ist gut so.“
Mercedes-Chef Ola Källenius hört auf - exklusives Interview - BILD
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