In Deutschlands Vorstandsetagen tut sich etwas. Noch nie wurden so viele Frauen in die Führungsspitzen börsennotierter Unternehmen geholt. 28 Prozent der seit September 2020 neu besetzten Posten in den Vorständen sind weiblich, zeigt eine Studie der deutsch-schwedischen AllBright-Stiftung, die am Mittwoch veröffentlicht wird und dem SPIEGEL vorab vorlag.
Insgesamt beträgt der Frauenanteil in den 160 deutschen Börsenvorständen 13,4 Prozent, bei den bisher 30 größten Unternehmen des Leitindex Dax (vor der Reform) liegt der Anteil bei immerhin 18,2, nach 12,8 Prozent im Corona-Krisenjahr 2020 und 14,7 Prozent im Jahr zuvor.
Insgesamt 35 Frauen arbeiten nun in den Vorständen der Dax-Unternehmen, mit Belén Garijo bei Merck gibt es eine erste weibliche CEO in den Dax-Konzernen. Erstmals haben drei Börsenunternehmen jeweils drei Frauen im Vorstand: Airbus, Allianz und Deutsche Telekom. Im Dezember kommt Daimler noch hinzu. Nur noch vier Unternehmen im Leitindex haben aktuell rein männlich besetzte Vorstände (Delivery Hero, Deutsche Wohnen, Linde, MTU Aero Engines). Auch im S-Dax stieg der Anteil der Vorstandsfrauen erstmals nun über die Zehn-Prozent-Marke.
Doch wie nachhaltig ist der Wandel in den Vorstandsetagen? Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der Stiftung, ist skeptisch. »Viele Unternehmen haben nun die eine Frau im Vorstand, und es besteht die Gefahr, dass sie sich damit begnügen, gewissermaßen mit der Alibifrau«, sagt Ankersen, die seit Jahren die Diversität in Führungspositionen untersucht. Der Anstieg sei zwar generell eine gute Botschaft, sagt Ankersen. Zugleich warnt sie: »Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Frauenanteil, wie wir ihn nun in Deutschland erreicht haben, nicht das Niveau eines fortschrittlichen Industrielands ist.«
So lassen andere Länder deutsche Unternehmen in dem Ranking alt aussehen: Beim Vergleich der 30 größten Börsenunternehmen liegen die USA deutlich vorn (31,1 Prozent), gefolgt von Großbritannien (27,4 Prozent) und Schweden (27,1 Prozent).
Mit dem durchschnittlichen Veränderungstempo der vergangenen fünf Jahre dauere es noch 26 Jahre, bis in den Vorständen ebenso viele Frauen wie Männer arbeiten würden. In den vergangenen zwölf Monaten immerhin hat das Tempo deutlich zugenommen. Werde es beibehalten, könnten schon in elf Jahren so viele Männer wie Frauen in deutschen Vorstandsteams sitzen, sagt Ankersen.
Doch Sorgen macht der Expertin, dass sich dieses Mal vor allem ein Aufholeffekt gezeigt haben könnte. Denn vergangenes Jahr war der Frauenanteil in der Coronakrise stark gesunken. Da habe sich gezeigt, dass Unternehmen in Krisenzeiten lieber »die vermeintlich sichere Karte ziehen, auf das ›Bewährte‹ zurückgreifen, und das sind Männer. Frauen gelten immer noch als die riskantere Besetzung. Da wirkt ein alter Reflex.« Nun sei der Rückgang in erster Linie wieder ausgeglichen worden.
Ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter an der Firmenspitze, was bei einem Frauenanteil von mindestens 40 Prozent zu erkennen wäre, schafften selbst die deutschen Dax-Konzerne noch nicht. Dabei sieht es im Ausland ganz anders aus. Coca-Cola und Procter & Gamble etwa erreichen 44 Prozent, der Textilhändler Hennes & Mauritz 40. In den USA und Schweden gebe es unter den 30 größten Unternehmen im nationalen Leitindex keinen einzigen Vorstand ohne Frau.
Am 20. September 2021, nachdem die Analyse für den AllBright-Bericht abgelaufen war, wurde der Dax um zehn Unternehmen erweitert. Die Lage verbessert hat das nicht gerade: Die Hälfte der neuen Dax-Mitglieder hat keine Frauen im Vorstand (Brenntag, HelloFresh, Porsche Automobil Holding, Sartorius und Symrise), damit sinke der Frauenanteil im neuen Dax40 im Vergleich zum Dax30.
Aber es gibt auch Positivbeispiele: »Wir brauchen kompetente Frauen in allen Bereichen«, sagt Albrecht Hornbach, Vorstandschef der gleichnamigen Holding, zu der die Hornbach Baumarktkette gehört. Die Weichen dafür habe die Familie in ihren internen Leitlinien vor gut 20 Jahren schon gestellt. Hornbach gehört nun zu den fünf von 160 untersuchten Unternehmen, die mindestens 40 Prozent Vorstandsfrauen haben. Im Aufsichtsrat der Holding sind die Frauen in der Mehrheit.
Baustoffhandel und Baumarkt eile der Ruf voraus, sie seien echte Männerdomänen, sagt der Firmenchef. Da entstehe gerne »das Bild eines letzten Sehnsuchtsortes für den Mann von heute«. Doch Kundinnen machten längst einen Anteil von 45 Prozent aus. Bei größeren Modernisierungsprojekten starte in 90 Prozent der Fälle die Frau die Initiative.
In den sonstigen Aufsichtsräten sieht die Allbright Stiftung die Entwicklung bei den Börsenunternehmen skeptisch, der Frauenanteil dort stagniert bei knapp 33 Prozent. Auch das Gesetz, das nun großen Unternehmen einen Mindestanteil von Frauen in Vorständen vorschreibt, sieht Ankersen nicht uneingeschränkt positiv. Wenn künftig in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten und mehr als drei Vorständen mindestens eine Frau im Vorstand sitzen muss, »könnte das einen normierenden Effekt haben und die Firmen glauben, damit habe es sich nun getan und das reiche«, warnt sie. Das würde dem Thema eine falsche Wendung geben.
Frauenanteil in deutschen Vorständen: »Nicht das Niveau eines fortschrittlichen Industrielands« - DER SPIEGEL
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